Smaragdjungfer
könnte.« Nicht ganz die Wahrheit, aber nahe genug dran. »Das ist uns aber erst nach Feierabend eingefallen, als wir verabredet hatten, nach dem Abendessen noch weiter an dem Fall zu arbeiten.« Nur halb gelogen. »Also sind wir hergekommen, um zu sehen, ob wir mit unserer Vermutung richtig lagen. Das Siegel an der Tür war abgerissen, und in der Wohnung brannte Licht.«
Sie hätte kehrtmachen und davonlaufen sollen. Mit Lukas. Dann wäre er noch am Leben. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie zwinkerte sie weg.
»Und du bist sicher, dass das Kastor war?«
»Natürlich. Ich habe ihn schließlich gesehen , Jakob.«
»Unter extremem Stress können einem die Sinne einen gewaltigen Streich spielen«, sagte der Arzt und klebte ein Pflaster auf den Verband an ihrem Arm.
»Halten Sie sich da raus«, fauchte Paula ihn an.
Er war wohl derartige Ausbrüche von Patienten gewöhnt, denn er grinste gutmütig. »Ich sehe, Ihnen geht es schon wieder besser.«
»Ja, und ich muss auch nicht ins Krankenhaus.«
»Doch, Paula, musst du. Zumindest für diese Nacht. Dienstanweisung deines Vorgesetzten«, würgte Roemer jeden weiteren Protest ab. »Wir kümmern uns um alles Weitere. Vor allem um Kastor. Wo habt ihr die Daten vermutet?«
Sie schloss die Augen und schützte Übelkeit vor, um Zeit zu gewinnen. Im Geist sah sie sich in Jasmins Wohnung nach einem glaubhaften Versteck für einen Datenspeicher um, das Majas Team noch nicht kontrolliert hatte.
»Bitte, meine Herren, das hat doch wohl Zeit bis morgen«, war der Arzt überzeugt.
»Hat es bedauerlicherweise nicht. Paula?«
»Unter ihren Schminkutensilien.« Die hatte der Erkennungsdienst noch nicht eingesammelt. Dazu bestand ja auch keine Veranlassung. »Genauer gesagt in einem der Lippenstifte. Wie du weißt, gibt es USB-Sticks, die in Lippenstifte integriert sind.«
»Wir sehen nach. Komm du erst mal wieder auf die Beine.« Roemer klopfte ihr väterlich aufs Bein.
»Kümmert euch um Kastor, bevor der Kerl untertaucht.«
»Auch das. Mach dir keine Sorgen. Diesmal kriegen wir ihn dran.«
Paula schloss die Augen, wandte den Kopf zur Seite und gab sich keine Mühe mehr, die Tränen zurückzuhalten. Sie war froh, als der Arzt Jakob und Sigurd aus dem Wagen scheuchte und dem Fahrer ein Zeichen zur Abfahrt gab.
Sie hatte das Gefühl, in dem gleichen Albtraum wie vor sechzehn Monaten zu stecken.
Diesmal, fürchtete sie, nicht mehr daraus zu erwachen.
Samstag, 1. Oktober
Als Paula kurz nach zehn Uhr in die Dienststelle kam, hatte sie das Gefühl, nicht nur hier völlig fremd zu sein, sondern auch in ihrem eigenen Körper und überhaupt in der Welt. Die gestrigen Ereignisse erschienen ihr unwirklich und standen ihr doch überdeutlich vor Augen. Zudem fühlte sie sich wie unter einer Glasglocke. Letzteres war die Nachwirkung der schmerzstillenden Spritze, die man ihr vorhin im Krankenhaus gegeben hatte, ehe man sie nach einem Verbandswechsel entließ. Eine Krankschreibung hatte sie vehement abgelehnt. Sie konnte nicht tatenlos zu Hause sitzen und ihre Wunde lecken. Zumindest nicht, ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass der Kerl, der Lukas auf dem Gewissen hatte, in Haft war.
Sie ignorierte die anklagenden Blicke der Kollegen und stürmte in Roemers Büro.
»Hat er gestanden?«
»Moin, Paula. Setz dich bitte. Wie geht es dir?«
Sie nahm ungeduldig vor dem Schreibtisch Platz. »Red schon, Jakob. Hat er gestanden?«
»Nein. Wir konnten ihn nicht mal befragen.«
Paula wurde bleich. »Er ist entkommen. Oh Scheiße!« Ein Kloß drückte ihr den Hals zu.
»Nein, er ist nicht entkommen. Aber er ist auch nicht in Haft. Wir sind gestern Abend zu seiner Wohnung gefahren. Er war nicht da. Wir haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Eine Streife fand seinen Wagen vor dem Haus von Witold Graf. Kastor war dort zu Besuch.«
»Wieso ist er dann nicht in Haft?«
Roemer seufzte frustriert. »Weil wir nichts gegen ihn in der Hand haben.«
»Wie bitte?« Paula explodierte fast. »Ich habe den Kerl gesehen, wie er Lukas erschossen hat. Wie viele Beweise brauchst du denn noch, verdammt?« Sie starrte Roemer verzweifelt an. »Oder hat wieder dieser Scheißstaatsanwalt seine Finger im Spiel?«
»Nein, Paula. Kastor hat ein Alibi. Er war ab neun Uhr abends bei Graf zu einer geschäftlichen Besprechung. Das behauptet nicht nur Graf. Das haben auch drei seiner Angestellten und zwei von Severins Hostessen bestätigt, mit denen die Herren vorher noch in einem Kammerkonzert
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