Smaragdjungfer
keine Wirkung.
Die Wohnzimmertür war halb angelehnt. Paula schob sich langsam mit dem Rücken an der Flurwand entlang darauf zu, die Pistole im Anschlag. Die Übelkeit nahm wieder zu. Und die Narben ihrer Schussverletzungen begannen zu pochen, als würde ihr Körper erneut den Einschlag einer Kugel erwarten. Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus. Für einen Moment stand sie wie angewurzelt und war unfähig, sich zu rühren.
Lukas blickte sie fragend an. Das brachte sie wieder zur Besinnung. Mit äußerster Willensanstrengung ging sie weiter.
Lukas bewegte sich parallel auf der anderen Flurseite. Als Paula durch den breiten Spalt ins Wohnzimmer sehen konnte, erwartete sie halb, dass dort jemand mit einer Waffe im Anschlag stand und sofort das Feuer eröffnete. Doch da war niemand. Langsam schob sie die Tür mit dem Fuß auf, ehe sie ihr einen heftigen Tritt gab, dass sie gegen die Wand krachte. Falls jemand hinter der Tür stand, hätte er sie nun ziemlich schmerzhaft zu spüren bekommen.
Paula und Lukas sprangen ins Wohnzimmer und sicherten nach allen Seiten. Doch das Zimmer war leer. Demnach musste sich der Eindringling entweder in der Küche oder im Schlafzimmer verschanzt haben. Beides war nur vom Wohnzimmer aus zu erreichen. Vielleicht steckte der Kerl auch im Bad, das man aber nur durch das Schlafzimmer betreten konnte. Die Türen zu beiden waren geschlossen.
Im Wohnzimmer sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Die Bücher aus dem Regal waren zu Boden geworfen worden, der Inhalt des Sekretärs ebenfalls. Sämtliche CDs lagen, aus ihren Hüllen herausgerissen, überall verstreut herum.
Paula packte ihre Waffe fester. Sie blickte Lukas an und nickte zur Küchentür hin. Die war ihnen näher als die Schlafzimmertür. Paula schlich zur Wand neben der Tür. Lukas stellte sich schräg hinter sie, sodass er sowohl diese Tür wie auch die Schlafzimmertür im Auge behalten konnte. Paula beugte sich vor, drückte die Klinke herunter und stieß die Tür mit dem Fuß auf.
Das hereinfallende Licht der Straßenlaternen spendete genug Helligkeit, um zu erkennen, dass sich niemand in der Küche aufhielt. Auch nicht hinter der Tür.
Bevor sie und Lukas sich dem Schlafzimmer zuwenden konnten, wurde dessen Tür aufgerissen. Paula hörte die dumpfen Töne zweier schallgedämpfter Schüsse. Ein Geschoss zischte so knapp an ihrem Kopf vorbei, dass sie den Luftzug spürte. Lukas taumelte gegen sie und riss sie zu Boden. Ein Mann sprang aus dem Schlafzimmer und gab noch einen Schuss auf sie ab. Sie fühlte, wie die Kugel in Lukas’ Körper einschlug, der halb auf ihr lag. Ihre rechte Hand war mitsamt der Pistole unter ihm eingeklemmt, sodass sie nicht schießen konnte.
Der Schütze rannte zur Tür und verschwand im Flur. Paula konnte sein Gesicht zwar nicht erkennen, aber sie sah einen bordeauxroten Schal, dessen einer Zipfel nach hinten über die Schulter fiel – wie Kastor ihn am Donnerstagabend getragen hatte, als sie in seinen Club gegangen war. Dunkelblonde Haare. Kastors Statur.
»Lukas!«
Er antwortete nicht und rührte sich auch nicht. Als Paula ihn ansah, erkannte sie warum. Lukas Rambacher hatte ein blutiges Loch in der Stirn. Seine Augen starrten leblos ins Nichts.
Sie stieß einen erstickten Laut aus und hatte das Gefühl, einen Albtraum zu erleben.
Schreie aus dem Treppenhaus rissen sie in die Wirklichkeit zurück. Sie schob Lukas’ Körper mit großer Anstrengung zur Seite, kam auf die Beine und rannte hinaus. Im Hausflur, gerade die Treppe heraufgekommen, stand ein großer Pulk junger Leute, schreckensbleich, und starrte mit entsetzt aufgerissenen Augen und Mündern zur Treppe, die nach oben führte. Wahrscheinlich eine Gesellschaft, die bei irgendwem eine Party feiern wollte.
»Rufen Sie eins-eins-null!«, brüllte Paula und wandte sich der Treppe zu.
Sie hörte Kastors Schritte, der nach oben rannte, da der Menschenauflauf ihm den Weg zur Haustür versperrt hatte. Wohin wollte der Kerl? Dachte er, dort einen zweiten Ausgang zu finden? Oder sich verstecken zu können? Keine Chance! Hass, Wut und Verzweiflung tobten in Paula. Sie hatte nur noch den Wunsch, Kastor zu erledigen, koste es, was es wolle.
Sie rannte die Treppe hinauf, mit dem Rücken zur Wand, die Pistole schussbereit nach oben gerichtet, falls er am Geländer auftauchte. Da! Ein Gesicht beugte sich über das Geländer. Paula krümmte den Finger um den Abzug. Der schrille Schrei einer Frau brachte ihr zu Bewusstsein, dass das
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