Smart Magic
hinterher. Immer wieder hielt er an und lauschte. Es war unheimlich still. Die Beschaffenheit der Wände änderte sich. Jetzt waren sie aus Fels, als wäre die Treppe direkt in das Gestein getrieben worden. Sie kamen an einen Absatz, aber es ging noch weiter hinab, und Tom war sich sicher, dass sie tiefer mussten, viel tiefer unter die Festung der Magatai, wo sein Körper gefangen gehalten wurde.
Hier gibt es üble Magie, stellte der Rabe fest, und er klang gar nicht wie sonst, sondern beinahe ängstlich.
Tom stellten sich die Nackenfedern auf. Für einen Moment fragte er sich, ob das bei Raben so üblich oder ob das eine menschliche Sache war, die er quasi mitgebracht hatte, aber da erreichten sie schon den Fuß der Treppe. Vor ihnen glitt das Licht durch einen Korridor und hielt dann an drei bronzenen Türen an.
Extrem vorsichtig hüpfte Tom näher heran und besah sie sich genauer. Auch ohne sich darauf zu konzentrieren, konnte er die Magie spüren, die von ihnen ausging. Schlimmer war allerdings, dass sie geschlossen waren und er sich nicht vorstellen konnte, wie ein kleiner Rabenkörper genug Kraft aufbringen sollte, um sie zu öffnen.
»Mist.«
Hinter welcher ist er?
»Der ersten. Aber da kommen wir nicht rein.«
Magie, Tom. Dir kann es egal sein, wie groß oder klein dein Körper gerade ist. Der Magie ist es jedenfalls egal.
»Na gut.«
Tom breitete die Flügel aus und atmete tief ein. Tatsächlich spürte er den Fluss der Energie auch in dem Rabenkörper. Sie war stark, und Tom gab ihr in dem Moment Form, als er sie aus seinen Flügelspitzen entließ. Ein geisterhaftes Etwas aus Licht entstand, fast eine Hand, doch so wenig greifbar wie Nebel. Als sie jedoch die Tür berührte, bewegte sich das schwere Metall so leicht, als würde ein Riese sie aufdrücken.
Beeindruckend. Die Stimme des Raben klang erstaunlich aufrichtig. Du wirst immer besser.
So schnell er konnte, hüpfte Tom in den Raum. Wenn ihn sein Gefühl nicht getrogen hatte, dann musste sein Körper hier sein. Er ignorierte das orangefarbene Leuchten, das ihn umgab, den seltsamen Geruch, den Rest des kreisrunden Raumes. Für ihn wichtig war nur der Körper, der auf dem Steintisch in der Mitte lag. Mit einem gewaltigen Sprung und ausgebreiteten Flügeln landete er neben dem leblosen Leib.
Es war seltsam, sich von außen zu betrachten. Jetzt hockte er neben seinem eigenen Kopf und sah seine Wangen, seine Nase, seinen Mund. Er sah die Kleidung, die Schuhe, das Taschenmesser. Er sah anders aus, als er sich in Erinnerung gehabt hatte. Seine Haut hatte von der Sonne Farbe bekommen, sein Haar war länger, und es kam ihm vor, als sei er bestimmt fünf Zentimeter gewachsen.
Er ließ den Blick weiterwandern, zu dem unangenehmen Teil. Dort, wo das Schwert des Seelenfressers in seinen Leib gefahren war, befand sich nur noch eine schmale Narbe. Sie hatten seinen Körper mit Magie geflickt, damit er ihnen besser als Sklave dienen konnte.
Jetzt hast du es fast geschafft!
»Ja«, flüsterte Tom erstickt.
Er hüpfte auf die Brust seines Körpers und spürte das Schlagen des Herzens unter seinen Krallen. Mit einem Mal wurde ihm übel. Das alles war falsch, unnatürlich und unwirklich.
Und es musste ein Ende finden.
Die Spitze des Schnabels berührte die Stelle just über dem Herzen. Er konzentrierte sich ganz auf seinen Körper.
Tom hatte das Gefühl, in einen Strudel zu fallen. Etwas zog an ihm, wirbelte ihn herum, drehte ihn und wusch über ihn hinweg, bis er endlich die Augen aufschlug und über sich einen Raben sah.
Sein eigener Körper hatte seinen Geist wieder in sich aufgenommen. Denn er gehörte hierher, sein Geist und sein Körper waren eins, waren Tom. Er streckte den Arm aus, betrachtete seine Finger, wackelte mit den Zehen in den Sneakern und leckte sich über die Lippen. Yeah!
Als Tom sich langsam erhob, bemerkte er, dass ihm der Rücken wehtat. Aber er beschwerte sich nicht, denn es war sein Rücken, endlich wieder sein Körper. Auch in seinem Kopf drehte sich alles, und in seinem Bauch herrschte eine beißende Leere. Doch für ihn war es ein Wunder, als er seine Hand vor das Gesicht hob und sie zur Faust ballte. Er spürte all die Muskeln, all die kleinen Bewegungen, die dafür nötig waren, und er erlebte es zum ersten Mal richtig bewusst.
Wir nehmen viel zu viel einfach als gegeben hin, dachte er. Dabei ist so vieles ein kostbares Geschenk, das wir erst zu schätzen lernen, wenn es uns genommen wird.
Du wirst die Flügel sicher
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