SMS für dich
neuestem einen heimlichen Verehrer. So eine Art Stalker.»
«Was hast du?», fragt David amüsiert.
«Na, ich bekomme ständig so Nachrichten auf mein Handy von einer fremden Person.»
«Und was will diese fremde Person von dir?»
|70| «Tja, das wüsste ich auch gern», antwortet Sven und schildert nun die ganze mysteriöse SM S-Geschichte . Allerdings erzählt er die Vorgänge mit ein paar leicht verdrehten Details, die suggerieren, Lilime sei weiblich und darüber
hinaus durchaus an ihm interessiert.
«Aber du weißt nicht, wer diese Lilime ist?», fragt David so engagiert, dass Sven Mühe hat, sich von dem dünnen Eis, auf dem
er sich gerade befindet, wieder wegzubewegen.
«Nein, aber da kommen so einige Mädels in Frage …», lügt Sven.
«Jedenfalls scheint sie es dir ja angetan zu haben», stichelt David weiter. «Dann ruf sie doch einfach an und mach so eine
Art Blind Date aus!» Er ist ganz begeistert von seinem Vorschlag und sieht Sven auffordernd an.
«Mhm, mal gucken. Eigentlich stehe ich ja nicht auf solche albernen Spielchen», erklärt Sven und lenkt das Gespräch lieber
wieder auf Stine.
Mit Erfolg: David redet so viel von seinem schwer erträglichen Glücksflash, dass Sven auch auf dem Heimweg noch lange drüber
nachdenken muss. Eine neue Flamme übers Internet kennenzulernen, würde Sven nur misstrauisch machen. Schließlich hat er übers
Netz bislang nur oberflächliche Geschichten angezettelt, die entweder mit dem Satz «Ich ruf dich an!» oder mit einem schlechten
Beigeschmack am nächsten Morgen in einem vollkommen fremden Bett endeten. Er bezweifelt, dass eine Liebe anders zu finden
ist als über den direkten Weg, wenn man ganz genau hinsehen und den Anblick einer Person auf sich wirken lassen kann.
Ob er wirklich einfach mal bei Lilime anrufen sollte?, fragt er sich, als er auf dem Rad nach Hause radelt. Vielleicht verbirgt
sich hinter dem geheimnisvollen Absender tatsächlich |71| eine Frau, so ein Superweib wie diese Stine. Doch selbst wenn es so wäre, dürfte eine Eroberung sicher kein Spaziergang werden.
Sven überlegt, wie eng der Kontakt von Lilime und dem eigentlichen Adressaten der Nachrichten wohl sein mag. Falls dieser
gar nichts von seinem Glück weiß, dürfte das Ganze wohl eher eine einseitige Geschichte sein.
Als Sven am Rödingsmarkt an einer roten Ampel hält, blickt er auf eine beleuchtete Werbeanzeige für Bier, die einen gut gelaunten,
smarten Typen zeigt. Der Mann sitzt lässig auf dem Sofa, die Beine auf dem Tisch und ein offensichtlich frisch gezapftes Pils
in der Hand. Darüber steht der Slogan: «Mann lebt nur einmal!»
Jetzt oder nie!, schießt es Sven durch den Kopf, ich brauche sofort eine Telefonzelle! Und dann kommt er sich bei der Suche
plötzlich ziemlich merkwürdig vor. Schließlich trägt er ein brandneues Telefon bei sich, mit dem man nicht nur fotografieren
und Musik hören, sondern auch – wer hätte das gedacht? – diese verdammte Nummer anrufen könnte …
Aber er will schließlich anonym bleiben.
Mit einem Mal bekommt Sven Herzklopfen, doch er redet sich ein, dies käme eher von seinem schnellen Spurt in Richtung Reeperbahn
als von der bevorstehenden Aufregung, die sich durch nichts in der Welt rechtfertigen lässt. Bei der nächsten Ampel will er
zunächst über Rot fahren, hält dann aber doch an und kommt ins Grübeln. Zum einen fragt er sich, ob es überhaupt richtig ist,
dort einfach anzurufen, und zum anderen, warum er sich deswegen bloß so einen Kopf macht. Er beschließt, falls ihn auf dem
Weg zum Kiez keine rote Ampel mehr aufhält, bei der Nummer anzurufen. Bei Rot heißt es ansonsten: «Stopp! SMS schicken und
Nummer löschen!»
|72| Als Sven in die Reeperbahn einbiegt, springen ihn gleich auf der rechten Seite zwei nebeneinanderstehende Telefonzellen an.
Er muss grinsen und fragt sich, ob sein Unterbewusstsein wohl bereits wusste, dass er hier fündig werden würde. Allmählich
findet er Gefallen daran, sich selbst weiter zu neuen Spielchen zu animieren. Er steigt vom Rad und kramt in seinen Taschen.
«Wenn ich jetzt das passende Kleingeld habe, rufe ich an!», sagt er leise zu sich und grinst die ältere Dame in der Nachbarkabine
an, die ihn etwas verwundert ansieht.
Das muss ja auch merkwürdig zu beobachten sein, denkt er, wenn ein normal aussehender Mann in der einen Hand den Hörer des
Telekom-Telefons hält und in der anderen ein nagelneues i-Phone.
Unsicher
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