SMS für dich
Handy weg und geht aufs Klo. Warum passiert mir das?, fragt er sich, während nebenan in der Kabine irgendjemand
mit einer trägen Verdauung zu kämpfen scheint. Er beschließt, den Feierabend mit etwas Sinnvollem zu verbringen. Die Woche
wird wieder verdammt schnell rumgehen, ahnt er. Ein Termin jagt den nächsten. Und deshalb nimmt er sich jetzt fest vor, heute
endlich mal wieder seine Tai-Chi-Gruppe aufzusuchen.
Der Gedanke daran hält ihn den restlichen Tag über wach. Allerdings hat Sven ein bisschen Bammel davor, weil er befürchtet,
nach so langer Zeit im Verein nur fremde Gesichter zu sehen. Ob sein Kumpel David noch dabei ist? Mit dem Unidozenten war
er früher nach dem Training schon einige Male essen. Aber in letzter Zeit hat er sich auch bei David einfach nicht mehr gemeldet.
Umso erfreuter ist Sven, als sein alter Kumpel am Abend einfach auf ihn zugeht und ihn fragt, wie es ihm ginge, so als wäre
nichts gewesen.
Genau das mag er auch an David. Seine unaufgeregte, unkomplizierte Art. Er ist lässig, ohne es zu spielen, sondern weil das
einfach seiner Natur entspricht. Außerdem hat er einen tollen, staubtrockenen Humor, sodass Sven ihn nach dem Training kurzerhand
auf einen Happen einlädt. Sie beschließen, sich eine große Sushi-Platte zu gönnen und sich dabei gegenseitig auf den neuesten
Stand zu bringen.
Sven ist zunächst mulmig zumute. Schließlich kann er |68| von keinen großen Heldentaten berichten. Er hat nicht einmal das großmundig angekündigte Marathontraining aufgenommen, um
nach vier Jahren einen erneuten Versuch zu unternehmen, in einer Zeit unter vier Stunden ins Ziel zu kommen. Im Gegenteil:
Sven hat seit der Weihnachtszeit deutlich an Fitness eingebüßt und stattdessen an Fett zugelegt. Zwar so wenig, dass seine
Klamotten noch passen, aber immerhin so viel, dass er sich nicht mehr ganz wohlfühlt in seiner Haut.
Umso aufgeschlossener zeigt er sich beim Gespräch. Davids Neuigkeiten interessieren ihn wirklich, und er ermuntert ihn, als
Erster loszulegen.
«Sven, ich bin total verknallt!», platzt David heraus, gleich nachdem sie ihre Maki bestellt haben.
Sven muss seufzen und macht sich auf einiges gefasst. Eigentlich verabscheut er Kennenlerngeschichten von verliebten Pärchen.
Aber er ist tatsächlich gespannt, wie David, der eigenbrötlerische Macho, es geschafft hat, seine Unabhängigkeit für eine
Frau freiwillig aufzugeben.
«Sie ist einfach großartig. Hätte nicht gedacht, so einen guten Fang zu machen!», sagt David stolz, so als spräche er von
einem riesigen Hecht, den er unter Einsatz seines Lebens aus der tosenden See gefischt hat.
«Ich auch nicht», gibt Sven zu und irritiert sein Gegenüber etwas mit dieser schnellen Bemerkung. «Na ja, also, ich würde
von mir auch nicht denken, dass es mich mal so richtig erwischt», korrigiert er sich daraufhin.
David nickt ihm verständnisvoll zu. Dann folgt ein für David untypisch langer Monolog über Frauen und Männer und darüber,
dass er glaubt, jeder Mann sei in der Lage, sich zu verlieben, selbst der einsamste Wolf. Er trägt all |69| seine Argumente mit strahlenden Augen und einer derart authentischen Begeisterung vor, dass Sven weder darüber lachen noch
irgendetwas Schlaues dagegenhalten kann. Außer, dass jede Verliebtheit eben irgendwann weniger werde. Aber davon will David
nichts hören. Er übergeht die Bemerkung in erhabener Weise, als ob sie es einfach nicht wert wäre, darauf einzugehen. Stattdessen
schildert er Einzelheiten. Seine Angebetete heiße Stine, sie seien nun schon zwei Monate zusammen und er finde sie jeden Tag
noch begehrenswerter als ohnehin schon.
«Begehren …», hört Sven sich auf einmal sagen, obwohl er lieber gar nicht dran denken will. «Ja, ich erinnere mich. Da war doch was …» Die Sache mit dem «Liebe machen», so wie Fiona es immer genannt hat. Das war wunderschön, aber er hat diesen Aspekt in
seiner Erinnerung ganz weit in die hinterletzte Ecke gedrängt.
«Na, dein eigenes Liebesleben scheint ja derzeit mächtig aufregend zu sein», kommentiert David lakonisch seine Gedanken.
Sven fühlt sich auf einmal unwohl und will diese ironische Bemerkung am liebsten ignorieren. Doch David sieht ihn weiter fragend
an.
«Na ja», stottert Sven, «ist tatsächlich ein bisschen tote Hose zurzeit.»
David setzt einen mitleidigen Blick auf, der Sven direkt in die Magenkuhle trifft. Schnell ergänzt er: «Aber ich hab seit
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