SMS für dich
blickt Sven sich noch einmal um, so als würde er einen Erpresseranruf mit verstellter Stimme tätigen wollen. Dabei
wird er einfach höflich nach – er überlegt –, nach einem David fragen. Genau, nach seinem Kumpel David. Und dann wird Lilime antworten: «Hier ist nicht David. Hier ist
Ralf, Egon, Hugo oder sonst wer.»
Sven hofft natürlich, dass sich eine Frau meldet oder der Typ zumindest mit seinem vollen Namen rausrückt. Damit er endlich
ordentlich recherchieren und sich vielleicht sogar neuen Stoff für seinen Krimi zusammenreimen kann. Auf jeden Fall aber will
er endlich ein bisschen vorankommen mit seinen «Ermittlungen».
Sven tippt die Nummer ein und wartet gespannt, als es klingelt. Nach etwa fünfmal Tuten nimmt tatsächlich jemand ab. «Sie
sind verbunden mit der Nummer 0172 …»
«Mist!», schimpft Sven. Die Mailbox. Damit hatte er nicht gerechnet, jedenfalls nicht mit einer elektronischen |73| Ansage. Er ärgert sich. Aber nicht so sehr über die Tatsache, dass nur diese automatisch generierte Stimme zu hören ist. Nein,
er ärgert sich vielmehr über sich selbst und beschließt, die ganze Sache so schnell wie möglich abzuhaken.
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Clara
Zufrieden kuschelt sich Clara nach einem langen Tag in Bens Bettdecke, deren Bezug sie noch immer nicht gewaschen hat, und
tippt eine SMS in ihr Handy.
Hat sich Theo gemeldet? Du kannst sehr stolz auf sie sein. Vielleicht bist du’s ja auch auf mich? Ich hab heut das Mondbild
für dich zu Ende gemalt. 1000 Küsse!
Sie sucht Bens Nummer und geht auf Senden. Obwohl der Tag gestern mit Dorothea so nett war, ließ ihr die unfertige Leinwand
einfach keine Ruhe.
Nach ihrem Treffen machte sich Clara noch am Abend daran, das neulich begonnene Bild weiter zu bearbeiten, das die Rückseite
des Mondes zeigen soll.
Sie hatte nicht gedacht, dass sie schon heute damit fertig werden würde. Voller Vorfreude hatte sie sich auf dem Weg vom Büro
nach Hause richtig beeilt. Sie verzichtete aufs Abendessen und ignorierte sogar das Telefon, als es klingelte. Da ihr jedoch
einfiel, Katja könnte Neuigkeiten von ihrem Lover loswerden wollen, rannte sie doch noch schnell in den Flur. Doch die Mailbox
war schneller. Der Anrufer hinterließ keine Nachricht, sodass Clara wieder an ein mögliches Zeichen von Ben denken musste.
Mit |74| einem Lächeln arbeitete sie daraufhin an ihrem Projekt weiter.
Sie tauchte ganz tief ein in einen wunderbar entspannten Zustand, der sie ganz und gar gefangen nahm. Wie im Rausch fügten
sich die Pinselstriche fast von allein aneinander, sodass Clara vollkommen die Zeit vergaß und erschrak, als sie das erste
Mal nach Mitternacht auf die Uhr blickte.
Auch wenn es bisher nur ein Bild ist, kam ihr beim Malen die Idee, aus den Mondbildern eine ganze Serie zu entwickeln.
Es ist eine schöne Vorstellung, dachte sie, womöglich eines Tages die Chance zu bekommen, meine Werke irgendwo ausstellen
zu dürfen. Und wer weiß? Vielleicht ließe sich damit ja sogar ein bisschen Geld verdienen.
Ben wäre sicher begeistert von diesem Traum. Während Clara so in die Dunkelheit starrt, sieht sie ihn ganz deutlich vor sich
– wie er am Küchentisch sitzt, ein Bein entspannt auf die Kante des Tisches legt und sich eine Zigarette dreht. «Ey Babe»,
würde er sagen, «das ist gut. Das ist echt gut!» Dann würde er aufspringen, das Bild noch einmal ausführlich betrachten, so
tun, als sei er ein Kunstexperte mit tüchtigem Geschäftssinn, und schließlich auf Clara einreden, bis sie nachgeben und den
entscheidenden Karriereschritt gehen würde.
Ben war bei allem stets begeisterungsfähig. Wann immer ihm eine Idee in den Sinn kam, ganz gleich wie unrealistisch die Umsetzung
auch sein mochte, spann er sie bis ins Detail aus und freute sich darüber. Auf diese Weise endeten viele Gespräche mit ihm
in Träumereien. Und so konnte schnell aus einem eigentlich alltäglichen Thema eine weit |75| ausufernde Phantasiegeschichte werden, ganz gleich, ob es darin um die steile Musikerkarriere ging, die er mit seiner Band
machen würde, oder um eine monatelange Weltreise, für die allerdings gar kein Cent übrig war.
Bei der Erinnerung an seine unnachahmliche Art steigen Clara Tränen in die Augen. In letzter Zeit muss sie zwar weniger schnell
weinen, wenn sie an Ben denkt. Dafür beschleichen sie allerdings verstärkt Schuldgefühle, von denen sie nicht so recht weiß,
wie sie sie
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