SMS für dich
Augen. «Mach du doch!», fordert er Hilke auf und könnte sich gleich im selben Moment auf die Lippe
beißen. Warum sagt er so was?
«Nichts lieber als das», freut sich Hilke. Sie scheint ihr Glück kaum fassen zu können.
«Aber warte! Nicht von meinem Handy aus.»
«Nein, keine Sorge. Ich nehme meins.»
Sofort greift sie zu ihrem Telefon und tippt die Nummer ein. Sven, der das Ganze nicht mit ansehen kann, schüttelt den Kopf,
greift sich eine Mappe mit Unterlagen und sagt im Hinausgehen: «Gut, dass ich jetzt in die Sitzung muss!»
Kaum ist er aus der Tür hinaus und ein paar Meter den Gang entlanggegangen, fällt ihm ein, dass er keinen Kugelschreiber dabeihat.
Er bleibt stehen und überlegt, ob er an seinen Platz zurückkehren soll, zögert jedoch, weil Hilke das bloß als Vorwand für
seine Neugier betrachten könnte und damit gegen ihn verwenden würde. Klar interessiert ihn, ob sie Lilime erreicht und vor
allem, wie die fremde Person wohl reagiert. Langsam geht er zum Büro zurück, bleibt aber an der geschlossenen Tür stehen.
Er sieht sich um, ob er unbeobachtet ist, und versucht angestrengt zu verstehen, was Hilke da gerade spricht.
Leider kann er nur vereinzelte Satzbausteine hören: |82| «Ähm … Entschuldigung … nicht richtig notiert … O danke … Ja, Ihnen auch …»
Svens Herz klopft. Er kommt sich wirklich bescheuert vor und würde am liebsten sofort ins Büro reingehen. Aber er sollte jetzt
wirklich dringend in den Konferenzraum, ermahnt er sich und eilt Richtung Treppenhaus. Mehrfach schüttelt er den Kopf, nicht
nur über seine neugierige Kollegin. Nein, vor allem über sich selbst und sein dummes Verhalten.
***
Als er endlich wieder an seinen Schreibtisch zurückkehrt, genießt Hilke ihren Triumph. Nachdem sie sich einige Minuten bitten
lässt, erzählt sie ihm schließlich brühwarm, dass Lilime tatsächlich sehr weiblich ist und darüber hinaus auch noch eine freundliche
und warme Stimme hat.
«Jedenfalls habe ich ein paar Sätze mit ihr gesprochen und so getan, als würde ich einen gewissen Sven Breiding sprechen wollen»,
erklärt sie stolz.
Etwas Originelleres als die Kombination aus den Namen von Kollege und Chef ist ihr offenbar so schnell nicht eingefallen,
denkt Sven. Und obwohl das Gespräch nur Sekunden gedauert haben kann, präsentiert Hilke ihm gleich auch noch ein vollständiges
Persönlichkeitsprofil von dieser Lilime.
«Die ist auf jeden Fall jung. Aber nicht zu jung! Ich schätze so um die 30. Sie klingt gebildet und norddeutsch. Jedenfalls hat sie keinen Dialekt und spricht auch nicht komisch … Im Gegenteil: Svenni, du hättest sie hören müssen … So eine glockenklare Stimme mit einer Melancholie |83| im Ton und eine gepflegte Ausdrucksweise … ja beinahe elegant!»
Als Hilke auch noch Sinnlichkeit und Erotik in die fremde Telefonstimme legt, die angeblich so überaus höflich auf den falsch
verbundenen Anruf reagierte, wird es Sven endgültig zu viel. Er verabschiedet sich kopfschüttelnd in die Mittagspause.
Doch während er an der Elbe spazieren geht, kann er nicht anders, als sich direkt auf den Weg zu einer Telefonzelle zu machen.
Auch wenn er sich lächerlich vorkommt, will er unbedingt wissen, ob Hilke auch nur ansatzweise recht hat mit ihren Interpretationen.
Aber was soll er bloß sagen, wenn Lilime abnimmt? Vielleicht sollte er sie in ein sachliches Vertretergespräch verwickeln?
Er könnte sich als Mitarbeiter eines Call-Centers ausgeben. Vielleicht eine Art Lotterie, für die er sie zum Mitspielen animieren
müsse? Womöglich würde sie ihm dann sogar ihre Daten durchsagen, wenn er sein Anliegen nur seriös genug vortragen würde. Dann
wüsste er wenigstens ganz genau, mit wem er es hier eigentlich zu tun hat.
Sven geht in eine Telefonzelle, wählt die Nummer und wartet gespannt auf das Signal. Mehrfach räuspert er sich, doch als am
anderen Ende tatsächlich eine sehr sympathische Stimme zu hören ist, erstarrt er vor Schreck.
«Ja?»
Anders als in seinem spontan erdachten Plan vorgesehen, ist Sven plötzlich außerstande, auch nur einen Laut hervorzubringen.
Nach einer kurzen Pause fragt die Stimme: «Hallo?», und nach ein paar Sekunden ein weiteres Mal: «Hallo?», und: «Wer ist denn
da?»
|84| Aber Sven kann noch immer nicht reagieren. Er ist kurz davor, wie ein pubertierender Junge einfach aufzulegen, als Lilime
ganz leise und zaghaft fragt: «Ben? Bist du
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