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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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einem Journalistenvisum. Jetzt musste ich nur noch alles aufschreiben und meine Story vor der Deadline abgeben. »Wo die Erwachsenen wohl hin sind?«, sagte ich zur Palme. »Du kannst ruhig mit mir reden. Ich verrate meine Quellen nicht.«
    Die Palme wollte nichts sagen. Offenbar deckte sie die Platane. »Ichwill Mädchen«, sagte ich und begann, auf meiner Suche nach dem schönen Geschlecht an die Holztüren rund um den Innenhof zu klopfen. Keine Antwort. Ich betrat eines der Zimmer und fand ausgebreitet auf einer goldenen Bettdecke eine sterbende ältere Frau. Es war meine Mutter. »Oh, du armes Mädchen«, sagte ich. »Armes Mädchen.« Ich konnte kaum glauben, dass ich meine Mutter Mädchen rief, aber ich hatte ganz deutlich das Gefühl, dass sie jünger war als ich und meine Hilfe brauchte. Ich nahm ihr Gesicht in die Arme und versuchte, die vertrauten Züge auszumachen, aber ihr ganzer Kopf steckte in einer großen schlauchförmigen Socke, und wo ihr Mund hätte sein müssen, sah ich nur zwei blaue Streifen. »Gut«, sagte ich. »Du hast die amerikanischen Socken. Dann muss ich nicht mehr suchen.« Meine Mutter legte mir die kühlen weißen Finger in die Nackenfalten und schnaubte fragend durch den Sockenschlauch. »Die letzten 18 Jahre?«, sagte ich. »Da war viel los. Erst ist es mit dem Kommunismus zu Ende gegangen. Dann ist Papa reich geworden. Wir sind in die Alpen gefahren. Ich bin beschnitten worden, aber nicht so gut. Dann haben sie Papa unter die Erde gebracht. Eine hübsche Jüdin hat Gardenien gekauft. Dann bin ich hier gelandet.« Die Alabasterhand wischte mir den Mund ab und fuhr an den Rändern meiner einsamen Nase entlang. Aus dem Nacken meiner Mutter stieg eine Wolke aus Sockenluft auf und formte eine Reihe spiegelverkehrter kyrillischer Buchstaben, als würde ein Amerikaner versuchen, Russisch zu lernen. »Was?«, sagte ich. »Natürlich habe ich eine Freundin, aber sie reicht nicht an dich heran, Mami. Na ja, wie du immer gesagt hast: Man bekommt, was man verdient.«
    Meine Mutter schnaubte zustimmend. Ich versuchte, ihren Kopf in meinen Händen zu halten, und erinnerte mich daran, wie ich ihr als Fünfjähriger während ihres Mittagsschläfchens die Haare flocht, damit sie wie ein kleines Mädchen aussah, das ich ungestraft streicheln und küssen konnte. Ich merkte, wie sich ihr Geruch verändert hatte, ein eher lüsterner und unreiner Duft ging nun von ihr aus: die Aromen einer schmutzigen Küche. Und das auf ihrem Gesicht war keine Socke mehr, sondern eine Zwiebelschale, unter der sich zischend die Fratze eines Aliens verzog. Sie sprach nun in einer derben südländischen Sprache. Ein dünnes Band des Hasses huschte mir durchs Herz.
Warumhast du mich nicht vor ihm beschützt?
Die Bratpfanne! Nichts ergab einen Sinn.
Warum hast du mich so voll gestopft?
Schalenweise Kondensmilch zum Frühstück, Betthupferl aus Schmalzbroten, kalter Fleischsalat an heißen Nachmittagen, mit Sahne gekrönte Mohnkuchen, Cervelatwurst und Käsestückchen auf fingerdicker Butter.
Warum hast du mich so fett werden lassen, Mami? Damit er nicht mehr mit mir spielen konnte? Damit er mich nicht mehr liebte? Nach deinem Tod war ich ganz allein.
    Traurig verließ ich das geheimnisvolle Mutterzimmer. Die Sonne verbrannte mich wie eine Ameise unter der Lupe. Weil ich es müde geworden war, im Haus herumzulaufen, ließ ich das Haus das Laufen übernehmen – es drehte sich um mich, Dutzende leerer, sonnendurchfluteter Räume huschten vorbei, bis ich am Eingangstor stand und es mit zwei körperlosen Geisterhänden öffnete. Ich war frei!
    Ich ging die Straße hinunter. Die beiden Schwachköpfe, die man mir zugewiesen hatte, Tafa und Rafa, saßen in meinem Volvo-Kombi und verbrauchten die kostbare klimatisierte Luft. Ich klopfte an eins der Fenster. »
Vy
oder
ty
?«, rief ich den Jungs zu. »Höflichkeitsform oder Duzform? Ach, ich sollte euch die Köpfe aneinander hauen.« Zu meiner Überraschung trugen meine Adjutanten doch tatsächlich behaarte braune Kokosnüsse auf den Schultern. »Ich will mir ein Luftkissenboot kaufen«, teilte ich ihnen eher laut mit. »Neue Technologie. Da werde ich investieren.«
    Die Straße schlängelte sich abwärts aufs Meer zu, vorbei an den hübschen Sevo-Häusern mit ihren geschnitzten Balkonen, ihren überwucherten Vordergärten voller Berberitzensträucher und Milchglockenblumen. In einem Maschendrahtzaun entdeckte ich einen zerrupften Rosenstrauch, und sofort waren mir all meine tiefen

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