Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Sorgen genommen. »Das ist ja wie früher in Jalta«, rief ich. »Mit meiner
mamotschka
!« Die Winde dieses besonderen Erholungsortes, seine leichte Tschechow-Brise streichelte mir den Popo. Ich sprang und hüpfte die Straße hinunter (was ich eigentlich gar nicht kann, aber so kam es mir vor), bis ich mich an einer Art Grenzposten wiederfand. Bewaffnete Männer in eng anliegenden Pullovern, bestickt mit dem Wort DYNCORP , verstellten mir den Weg. Ich malte mir aus, wie es wäre, zu versuchen,ihnen die Sturmgewehre aus den Händen zu reißen und von Hunderten von Kugeln durchbohrt zu werden,
autsch, autsch
, hundertmal autsch. »Macht’n ihr da?«, fragte ich sie.
»Wachschutz«, sagten sie mit einem irgendwie südafrikanisch klingenden Akzent. »Wegen der Plünderer. Wohnen Sie hier?«
»Ich bin der Freund von Nana Nanabragovna«, sagte ich.
»Wirklich? Wie heißen Sie?«
»Fetter Onkel. Snack Daddy. Mischa Vainberg. Wie Sie wollen, aber darf ich bitte durch?«
»Passen Sie da draußen auf sich auf, Sir. Die Leute haben den Verstand verloren.«
»Für Sie immer noch das Volk.« Zügig marschierte ich auf eine Wand aus Lärm und Hitze zu. Nach ein paar einsamen Metern wurde ich von einer Menge von ungefähr einer Million Menschen aufgenommen, die in der Wüstenei des Sevo-Plateaus zusammengetrieben worden waren. Hände gruben sich in mein Fleisch; kleine Hände, große Hände, seewassernasse Hände, wettergegerbte Hände. Alle suchten sie nach meiner Brieftasche und landeten an meinen Eiern. Ich gab meinen freundlichen Angreifern einen Tipp: »Sie sehen fast gleich aus und fühlen sich fast gleich an. Ihr müsst weitersuchen. Ooooh, heiß, ganz heiß. Nein, nein, nein. Nicht kitzeln.«
Die Menge reichte mich weiter, drückte und pikste mich.
So muss Jesus sich gefühlt haben, wenn es gut für ihn lief.
Ich wurde weiter und weiter gereicht, unter die Tentakelbögen des Sevo-Vatikans, hin zum traurigen Grün der Wasserlinie. Über uns rumpelte es. Ein tiefes Ächzen erklang. Dann ein paar Mal
popp-popp-popp
. Handfeuerwaffen. Ich sah auf und hoffte, eine meiner geliebten Katjuscha-Raketen zu sehen zu bekommen. Nichts zu machen. Jugendliche Mitglieder einer Wahre-Fußstützen-Posse kraxelten mit ihren Mörsern und Boden-Luft-Raketen einen Hügel hinauf.
Viel Glück, Kinder!
Ich stieß mich an etwas Hartem, Steinigem. Eine alte Frau war auf einem riesigen marmornen Meeresschneckenhaus aufgebahrt worden, Teil eines versiegten Jugendstilbrunnens. Ihre ganze Familie weinte um sie, die Kinder zu ihren Füßen, die Erwachsenen an ihrem Kopf. »Ist sie tot?«, fragte ich.
»Wir werden sie nie vergessen«, jammerte die Verwandtschaft.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte ich voller Mitgefühl. »Was euch heute wie ein schrecklicher Verlust erscheint, wird morgen vielleicht nur noch eine unangenehme Erinnerung sein. Sie war alt. Eine Last. Nutzt eure Chance und geht gleich nach Amerika.« Aber meine Worte ließen das Schluchzen nur noch anschwellen. Eine Faust wurde geschwungen, verbunden mit ein paar wüsten Verwünschungen. Kopfschüttelnd ging ich weiter. Diese Menschen hatten
wirklich
den Verstand verloren. Hier herrschte das Gesetz des emotionalen Dschungels. Sie konnten es nicht erwarten, umeinander zu trauern. Das war das Einzige, womit sie sich auskannten, das konnten sie im Schlaf. Der Tod kam von oben, der Tod kam von innen. Tyrannen und Herzattacken. Die drei beliebtesten Worte der russischen Sprache:
Stalin. Gitler. Infarkt.
Was war denn jetzt los? Plötzlich schrien alle mich an. Ich wandte mich hierhin und dorthin, zum Meer und wieder vom Meer ab, und wohin ich mich auch wandte, sah ich blitzende Goldzähne und entzündete Mandeln, heulend vor Hass und Schrecken. »Ich habe nichts getan«, sagte ich und sah auf meine Füße. »Lasst mich doch in Ruhe«, flehte ich. Aber das Schreien wurde nur noch lauter. Und dann ertönte wieder das tiefe Ächzen, und aus einem schlechten Lautsprecher erklang eine Blechtrommel.
Popp
, sagte jemand.
Popp popp popp. Dschjiuuuuuuuummmm!
Ich blickte auf. Die Menschen hatten die Fäuste erhoben und krochen ängstlich auf dem Boden herum. Und dann verstand ich. Nicht mir waren sie böse. Ich war nicht das Problem. Ich sah den Menschen in die Augen. Ihre Augen, so schien es, waren auf Gott gerichtet. Ich folgte ihrem Blick hinauf auf das Svanï-Plateau. Nichts. Dann weiter aufwärts auf das »Plateau International«. Immer noch nichts. Nein, halt. Da war etwas. Auf
Weitere Kostenlose Bücher