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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Ein größeres Geschenk hätte die Obrigkeit ihm nicht machen können. Seine Monate im Gefängnis waren die wichtigsten seines Lebens. Wie alle Sowjetjuden war Papa an einer der schlechteren Universitäten der Stadt zum Maschinenbauingenieur ausgebildet worden, aber in seinem Herzen war er ein pläneschmiedender Arbeiterjunge geblieben, nicht so viel anders als seine neuen kriminellen Zellengenossen mit ihren schmierigen Nacken und unrasierten Nasen. In seinem neuen Element nahm Papa den Gangsterslang an. Er dachte sich im Gefängnis alle möglichen Zigarettendeals aus. Er machte Brotkrumen zu Schuhkrem und Schuhkrem zu Wein. Er schmuggelte
Penthouse
-Hefte ein, klebte die Centerfolds einem willigen Insassen mit mädchenhaften Hüften auf den Rücken und vermietete ihn stundenweise. Als Papa wieder rauskam, waren zwei Dinge geschehen: Gorbatschow hatte liebenswürdigerweise die größten Teile des doofen, unprofitablen Kommunismus mit seinen langen Schlangen und explodierenden Fernsehgeräten abgeschafft, und der Geliebte Herr Papa hatte alle Bekanntschaften gemacht, die er in seiner Inkarnation als russischer Oligarch brauchen würde. All die Georgier und Tataren mit ihrem verschwitzten Unternehmergeist, der auf dem amerikanischen Konsulat so beliebt war. All die Inguscheten und Ossetier und Tschetschenen mit ihrem unbeschwerten Umgang mit der öffentlichen Gewalt, die das edle, explosive Russland von heute bilden sollten. Diese Männer konnten ordentlich hinlangen, Nutten erwürgen, Zollanmeldungen fälschen, Laster kapern, Restaurants in die Luft jagen, Scheinfirmen gründen, Fernsehstationen kaufen, für Parlamentsmandate kandidieren. Oh, sie waren wahre
kapitalistas
. Und auch Papa hatte was zu bieten. Er trug einen guten jüdischen Kopf auf den Schultern und war weltgewandt wie ein Alkoholiker.
    Und Mami war tot. Niemand zog ihm mehr eine Bratpfanne über den Schädel. Keine Mami, keine Sowjetmacht, nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnte – er konnte machen, was er wollte. Draußen vor dem Gefängnistor wartete eine Wolga-Limousine mit Fahrer auf ihn, wie sie früher sowjetische Apparatschiks herumgekarrt hatte. Und im Schatten des Wolga, die Hände in den Taschen seiner Latzhosen und große liebe Tränen in den Augen, stand sein riesiger unbeschnittener Sohn.
     
     
    Der zweite Jahrestag meiner russischen Kerkerhaft ging ohne Feier ins Land. Der Juli schritt voran; die Weißen Nächte waren schon nicht mehr so weiß, im gebleichten Abendhimmel tauchten alle möglichen echten Blautöne auf, der jahreszeitlich bedingte Wahnsinn meiner Diener – Lustschreie, permanentes Sichpaaren – ließ nach. Und doch mochte ich mich noch nicht von meinem Lager erheben. Ich wartete auf meinen Analytiker.
    Am Tag von Dr. Levines heiß ersehnter Rückkehr aus Rio rief mich die verwitwete Mrs Vainberg an und bat um eine Audienz. Unglück und Furcht sprachen aus ihrer Stimme. »Mischa, was soll ich machen?«, weinte Ljuba. »Du musst mir beibringen, wie man für die Toten Schiva sitzt. Die jüdischen Gebräuche.«
    »Sitzt du auf einem Pappkarton?«
    »Ich sitze auf einem kaputten Toaster.«
    »Das geht auch. Jetzt musst du alle Spiegel verhängen. Und vielleicht solltest du ein paar Tage lang keine Schweinesalami essen.«
    »Ich fühle mich so allein«, sagte sie mit dünnem, mechanischem Stimmchen. »Dein Vater ist weg. Ich brauche die Hand eines Mannes, die mich führt.«
    Das vorsintflutliche Geschwätz machte mich ganz nervös. Die Hand eines Mannes? Du lieber Gott. Aber dann musste ich daran denken, wie Ljuba bei der Beerdigung für meinen Geliebten Herrn Papa Partei ergriffen hatte und sich auf Oleg den Elch stürzen wollte. Es tat mir Leid um sie. »Wo bist du, Ljuba?«
    »Im
kottedsch
. Die Scheißmücken machen mich fertig. Oi, Mischa, alles erinnert mich so an deinen Vater. Dieser siebenarmige jüdischeKandelaber zum Beispiel und die kleinen schwarzen Kästchen, die er sich immer um den Arm gewickelt hat. Jüdischsein ist so kompliziert.«
    »Kompliziert, ja. Hat mich meinen halben
chuj
gekostet.«
    »Willst du nicht vorbeikommen?«, fragte sie. »Ich habe neue orangene Handtücher.«
    »Ich muss mich etwas ausruhen,
sladkaja
«, sagte ich. »In ein, zwei Wochen vielleicht.« Oh, Ljuba. Was sollte nur aus ihr werden? Sie war 21. Was ihre Schönheit anging, hatte sie ihre besten Tage gesehen. Und wie hatte ich sie eben genannt?
Sladkaja?
Meine Süße?
    Timofej latschte herein; er hatte sich ein schwaches serviles

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