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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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von Minen in die Luft gejagt zu werden. Daher meine Frage: Halten Sie sich an einem sicheren Ort auf? Befinden Sie sich in unmittelbarer Gefahr? Und in Anbetracht der Tatsache, dass Sie möglicherweise posttraumatische Stresssymptome erleben werden, Gefühle von Isolation, Zorn und Hilflosigkeit – glauben Sie, dass Sie Entscheidungen auf rationalerGrundlage treffen können, die Ihre Sicherheit in der Zukunft garantieren?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, unterdrückte ein Schluchzen und versuchte, mich zu konzentrieren. »Mein Freund Aljoscha-Bob will uns hier rausholen. Er ist ziemlich schlau, wissen Sie.«
    »Nun, das ist gut«, sagte Dr. Levine. »Aber bis dahin sollten Sie Ihre Zeit konstruktiv nutzen. Versuchen Sie, sich zu beschäftigen, wie in Moskau. Wenn keine Gefahr besteht, gehen Sie spazieren oder treiben Sie Sport. Solange Sie das tun und dazu drei Milligramm Tavor am Tag nehmen, dürften Ihre Ängste beherrschbar bleiben.«
    »Glauben Sie wirklich, dass ich –«
    »Nun versuchen Sie doch einfach mal, sich zu entspannen«, sagte Dr. Levine. Ich konnte hören, wie er seinen geliebten Zitrusshake mit Vitaminzusatz schlürfte, das moderne Äquivalent der Analytikerzigarre. »Verkrampfen Sie sich nicht so«, sagte er.
    »Ich soll
versuchen
, mich zu entspannen? Wie soll ich das machen? Das ist ja so, als würde ich mich nüchtern saufen.«
    »Wissen Sie, was einem meiner anderen Patienten hilft, wenn er sich so verkrampft? Er kauft sich einen neuen Anzug. Kaufen Sie sich doch einen neuen Anzug, Mischa.«
    »Ich bin zu traurig zum Anzugkaufen«, hauchte ich.
    »Was fällt Ihnen noch dazu ein? Zu Ihrer Traurigkeit?«
    »Niemand kümmert sich um mich, Herr Doktor, nicht einmal Sie«, sagte ich. »Ich habe gesehen, wie ein netter Demokrat direkt vor meinen Augen erschossen wurde, und ich möchte so gut um ihn trauern, wie ich nur kann, aber es geht nicht. Und um meinen Papa möchte ich auch trauern, aber dazu ›fällt mir nichts ein‹, wie Sie sagen würden. Und ich möchte ein guter Mensch sein und den Menschen helfen, aber hier kann man kein guter Mensch sein, und wenn doch, dann weiß ich nicht wie. Und ich habe Angst, und ich bin einsam und unglücklich und hasse mich dafür, dass ich Angst habe und einsam und unglücklich bin und schon 30 Jahre lebe und außer Aljoscha niemanden habe, keine Menschenseele, die sich um mich kümmert und der ich etwas bedeute. Ich weiß, in New York und Paris und London gibt es Menschen, die haben dieselben Probleme, und dass ich nicht das Gefühlhaben darf, ich wäre etwas Besonderes, aber was immer ich auch mache und wohin ich auch immer gehe, es ist immer alles falsch, falsch, falsch. Und das kann doch nicht nur an mir liegen. Ich brauche so dringend das Gefühl, dass es nicht an mir liegt. Dass ich etwas Besseres verdiene. Ich wache in meinem leeren Bett auf und sehe mir mein Herz an, und es ist grau. Buchstäblich. Ich ziehe mein Hemd aus, öffne mir die Brust, und mein Herz ist ganz ledrig und grau wie bei einer Eidechse.«
    Ich hörte mehrfaches scharfes Einatmen durch eine verstopfte Nase. Ich klammerte mich am Hörer fest und wartete. Ich wollte hören, dass es nicht nur an mir lag, dass ich etwas Besseres verdiente und dass es so etwas wie graue Echsenherzen auf der ganzen Welt nicht gab. »Sag es!«, flüsterte ich kaum hörbar auf Russisch. »Tu deine Pflicht! Komm in die Gänge! Mach mich glücklich!«
    Es folgte noch mehr analytisches Schweigen.
    »Tatsächlich«, gab Dr. Levine unwillig zu, »stellen Ihre derzeitigen Lebensumstände Sie vor einzigartige Probleme.«
    »Ja«, sagte ich. Wohl wahr. Schwierige Umstände, einzigartige Probleme. Ich wartete auf mehr. Ich wartete eine Minute lang, noch eine, aber vergebens.
Also bitte, Herr Doktor. Jetzt geben Sie dem Pferdchen schon ein Zuckerli. Sagen Sie mir, dass ich etwas Besseres verdiene. Sagen Sie etwas über mein Herz.
Ich ließ mein Gesicht auf eine meiner großen Patschhände fallen und weinte und übertrieb mein Schluchzen, auf dass der Doktor sich meiner erbarmen und mir meine Sünden vergeben würde.
    Aber nichts. Auch nicht für 350 Dollar die Stunde. Nicht für alles Geld der Cayman Inseln. Nicht für alles Geld dieser meiner grauherzigen Welt.
     
     
     
    Depressiv und gelähmt wie ein Oblomow des 21. Jahrhunderts, lag ich auf meinem Bett und durchstöberte die dunkelsten Ecken des Internets, auf den Gipfeln meines Wanstes schnurrte und piepste mein Laptop. Ich sah unglückliche Frauen aller

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