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Snapshot

Snapshot

Titel: Snapshot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Robertson
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Alston Street, die sich durch das gesamte Viertel erstreckte. Im Jahr 1764 wurde dort das erste feste Theater Glasgows erbaut, das Alston Street Playhouse, das damals streng genommen noch außerhalb der Stadtgrenze angesiedelt war.
    An der Alston Street lagen eine Zuckerraffinerie, einige Lagerhallen, Ställe von Fuhrleuten, Pubs, Wohnhäuser und dreihundert Läden, die sich alle zwischen die Mitchell Street und die Waterloo Street gezwängt hatten. Durch ihre berühmten Brauereien erwarb sich die Straße einen besonderen Platz im Herzen vieler Männer. In der Alston Street war immer was los.
    Winter wusste noch, wie er einmal nachmittags mit Onkel Danny in der Mitchell Library gewesen war. Danny hatte ihm eine alte Karte gezeigt: Glasgow gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Der junge Tony war fasziniert. Eigentlich hätte da eine riesige Metropole sein müssen, seine Heimatstadt, aber da war nur ein größeres Dorf. Und das Ganze war ihm noch merkwürdiger vorgekommen, weil er dennoch sofort ein paar vertraute Straßen entdeckt hatte. Die Buchanan Street und die High Street hatten schon damals breite Schneisen von Nord nach Süd geschlagen, eine andere große Straße hatte sich von Ost nach West durch die Stadt gepflügt. Ganz im Osten hatte sie Gallowgate Street geheißen, dann Trongate Street und schließlich Argyle Street.
    Er erinnerte sich an die Karte, als wäre es gestern gewesen. Damals hatte er zu Danny gesagt, das Papier sähe aus wie in Tee eingeweicht, und darüber hatte Danny gelacht. Kaum Häuser, aber so viele Felder. Und die große Straße Richtung Westen hatte an einem Ort geendet, der in Großbuchstaben eingezeichnet gewesen war: GRAHAMSTON . Dort hatte es noch weniger Häuser gegeben als in der Mitte der Stadt, und er hatte seinen Onkel gefragt, ob dieses Dorf immer noch da sei?
    » Das«, hatte Danny geantwortet, » ist eine sehr interessante Frage, kleiner Mann. Es kommt ganz drauf an, wen du fragst. Manche sagen Ja, manche sagen Nein.«
    Die Augen des kleinen Tony waren immer größer geworden, bis Danny ihm versprochen hatte, ihm auf dem Heimweg alles zu erzählen. Tony hatte atemlos an seinen Lippen gehangen, während sein Onkel von der kleinen Reihe aus strohgedeckten Häuschen berichtet hatte, die sich zu einem wichtigen Ort entwickelt hatte, von den vielen Leuten, die dort gewohnt hatten, und– mit einem Augenzwinkern– von der zentralen Rolle der Brauereien im Dorfleben.
    Doch beim Siegeszug der Industrialisierung stand Grahamston nur im Weg. Glasgow wuchs und wuchs, und die Menschen mussten irgendwie vom Rest Schottlands und der Welt in die neue Metropole und auch wieder weg kommen. Die Caledonian Railway beschloss, einen riesigen Bahnhof für die vielen Leute und Züge zu errichten, und so begann man Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Bau der Central Station. Die Bewohner mussten raus aus Grahamston, die Abrissbirne nahm ihre Arbeit auf. Der monumentale Bahnhof wurde direkt auf das alte Grahamston draufgesetzt. Manche sagten, sie hätten die Alston Street vorher dem Erdboden gleichgemacht, andere behaupteten das Gegenteil.
    Danny zufolge glaubten einige Leute, Grahamston wäre immer noch da, verborgen unter den Bahnsteigen im Gewölbe der Central Station, und die Alston Street wäre noch genau wie früher, als die Leute vertrieben worden waren. Er hatte seinem Neffen ein wundervolles Märchen erzählt, die Geschichte eines Glasgower Pompeji, nur dass hier keine Lavawelle, sondern der Fortschritt über die Menschen hinweggeschwappt war. Besonders überzeugend wirkte das Ganze, weil mitten im modernen Glasgow zwei Gebäude aus dem alten Grahamston standen: das Grant Arms Pub neben der » Heilan’man’s Umbrella«-Eisenbahnbrücke und das Rennie Mackintosh Hotel an der Union Street, das einstige Duncan’s Temperance Hotel. Da fragte man sich schon, ob die anderen Häuser vielleicht auch noch irgendwo schlummerten…
    Allerdings hatte Danny ihm auch von Gerüchten erzählt, die Geschäfte wären noch voller Silber, weil die Ladeninhaber so schnell verschwinden mussten, dass sie ihren Besitz nicht mitnehmen konnten. Mit achtzehn hatte Winter dann kapiert, dass das völliger Quatsch war. Aber mit acht hatte er jedes Wort geglaubt.
    Und er hatte Dannys Geschichte nie vergessen. Kein Wunder, dass das alte Grahamston auch zwei Jungs wie Ryan und Kieran fasziniert hatte– ein geheimnisumwobener, abenteuerlicher Ort, in dem verlorene Schätze warteten, eine ganze altertümliche

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