Sniper
nach Hause hätte gehen können. Es sah fast wie ein realistischer Kompromiss aus.
»Ich brauche nur etwas Zeit, um ein paar Steine ins Rollen zu bringen«, sagte der Master Chief, mit dem ich sprach. »So etwas kann man nicht über Nacht klären.«
Ich willigte ein, meine Dienstzeit um einen Monat zu verlängern, während er nach Lösungswegen suchte.
Ich wartete und wartete. Keine Rückmeldung.
»Das wird schon, das wird schon«, sagte er. »Sie müssten nur wieder verlängern.«
Also tat ich das.
Es verstrichen weitere Wochen – es war schon fast Oktober – und noch immer hatte ich kein grünes Licht. Also rief ich ihn an und fragte, was los war.
»Die Sache hat einen kleinen Haken«, erklärte er. »Sie würden Ihnen die Stelle ja gerne geben, aber dafür müssten Sie sich für drei weitere Jahre verpflichten. Und Sie müssten sich schnell entscheiden.«
Mit anderen Worten: Ich sollte erst verlängern und würde dann den Job bekommen. Aber es gab weder eine Garantie noch eine vertragliche Regelung.
Das Lied kannte ich schon. Ich lehnte dankend ab – und stieg aus .
Taya:
Er sagt immer: »Ich komme mir vor, als hätte ich gekniffen.« Ich finde, er hat seine Pflicht mehr als erfüllt, aber ich weiß, dass er sich nun einmal so fühlt. Er denkt wohl, wenn schon jemand da draußen kämpfen und sein Leben aufs Spiel setzen muss, dann sollte er es sein. Und vielen anderen SEALs geht es genauso. Aber ich glaube, dass keiner von ihnen es ihm übel nahm, als er ausschied.
Ryan heiratet
Ryan und ich blieben gute Freunde, nachdem er in die Staaten zurückgekehrt war; unsere Freundschaft wurde sogar noch tiefer, was ich nicht für möglich gehalten hatte. Mich inspirierte sein unglaublicher Durchhaltewillen. Er war schon im Krieg eine echte Kämpfernatur gewesen. Jetzt war er im Leben ein noch viel größerer Held. Man vergaß zwar nie völlig, dass er blind war, aber man hatte auch nie den Eindruck, dass ihn seine Behinderung in irgendeiner Weise besonders beeinträchtigt hätte.
Wegen seiner Verletzungen hatte er ein Glasauge bekommen. Laut LT, der ihn damals in Empfang nahm, sogar zwei – das eine war ein »normales« Auge; das andere hatte einen goldenen SEAL-Dreizack statt einer Iris.
Einmal ein SEAL, immer ein SEAL.
Ich hatte schon vor Ryans Verwundung viel mit ihm unternommen. Viele Jungs im Team hatten einen bissigen Humor, aber Ryan war eine Klasse für sich. Er brachte uns immer zum Lachen.
Nachdem er angeschossen worden war, war es nicht anders. Nur dass sein Humor vielleicht noch ein bisschen trockener geworden war. Eines Tages kam ein kleines Mädchen zu ihm, sah sein Gesicht und fragte: »Was ist denn mit Ihnen passiert?«
Er beugte sich zu ihr hinunter und sagte mit ernster Stimme: »Messer, Gabel, Scher und Licht sind für kleine Kinder nicht.«
Bissig, lustig und mit einem Herz aus Gold. Man musste ihn einfach mögen.
Wir hatten uns alle schon darauf eingestellt, seine Freundin zum neuen Feindbild zu erklären. Denn wir waren uns 100-prozentig sicher, dass sie ihn nach seiner Verwundung sitzen lassen würde. Aber sie hielt zu ihm. Er machte ihr einen Heiratsantrag, sie sagte Ja und wir freuten uns alle mit ihm. Sie ist eine wunderbare Frau.
Ryan war ein Musterbeispiel dafür, wie man sein Leben trotz einer Behinderung meistern kann. Nach seiner Verletzung ging er aufs College, machte dort einen hervorragenden Abschluss und erhielt ein ausgezeichnetes Jobangebot. Er bestieg den Mount Hood, den Mount Rainer und eine Reihe weiterer Berge; er ging jagen und schoss mithilfe eines Beobachters und neuester Waffentechnik einen stattlichen Elch; außerdem nahm er an einem Triathlon teil. Ich erinnere mich, wie Ryan eines Abends sagte, dass er in gewisser Weise froh war, dass er angeschossen worden war und keiner seiner Kameraden. Natürlich war er anfangs wütend gewesen, aber er hatte seinen Frieden mit sich geschlossen und führte ein erfülltes Leben. Er hatte das Gefühl, dass er mit allem zurechtkam und glücklich sein konnte. Und so war es auch.
Wenn ich an den Patriotismus denke, der SEALs antreibt, erinnere ich mich immer daran, wie Ryan in Bethesda, Maryland, im Krankenhaus lag. Da war er also, vor Kurzem fast tödlich verwun det und unheilbar erblindet. Eine Reihe rekonstruktiver Gesichtsoperationen stand ihm noch bevor. Und wissen Sie, worum er bat? Er bat darum, dass man ihn im Rollstuhl zu einer Flagge brachte, wo er für eine Weile für sich bleiben wollte.
Er saß eine
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