Sniper
Primo. Als mein Fall zur Besprechung kam, saß er zufällig neben einem der anderen Chiefs, die mich nicht kannten.
»Wer ist denn diese Pfeife?«, fragte der andere Chief, als er meinen dünnen Ordner sah. »Für wen hält der sich eigentlich?«
»Wir beide sollten heute vielleicht mal gemeinsam zu Mittag essen«, sagte Primo.
Der andere Chief willigte ein und kehrte einige Stunden später mit einer anderen Einstellung über mich an den Verhandlungstisch zurück.
»Du schuldest mir ein Subway-Sandwich, du Idiot«, raunte mir Primo zu, als ich ihn später traf. Dann erzählte er mir die Geschichte.
Ich schulde ihm dies und noch vieles mehr. Die Beförderung wurde bewilligt und, um ehrlich zu sein, war das Leben als Chief nicht annähernd so schlecht, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Der Rang spielte für mich nie eine besonders große Rolle. Ich habe nie versucht, zu den ranghöchsten Soldaten meiner Einheit zu zählen. Selbst in der Highschool war es mir nicht wichtig, zu den Klassenbesten zu gehören. Als man mich in die Ehrenverbindung steckte, eine Art Klub der Klassenbesten, sorgte ich absichtlich dafür, dass meine Noten im nächsten Halbjahr gerade nicht gut genug waren, um erneut aufgenommen zu werden. Dann verbesserte ich mich wieder, damit meine Eltern mich nicht zur Brust nahmen.
Vielleicht hatte meine Skepsis gegenüber der militärischen Hierarchie auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass ich lieber der Lenker am Boden war, als ein Denker in einem muffigen Hinterzimmer. Ich wollte nicht an einem Computer sitzen, alles planen, und das Ergebnis dann lang und breit erklären. Ich wollte mein Ding durchziehen, das heißt also ein Scharfschütze sein – ich wollte mich ins Gefecht stürzen, den Feind töten. Ich wollte der Beste sein in dem, was ich tun wollte.
Ich denke, dass viele Menschen sich mit dieser Einstellung schwer taten. Sie dachten automatisch, dass jeder, der ein guter Soldat war, auch einen hohen Rang bekleiden sollte. Allerdings habe ich selbst schon genügend Leute mit einem hohen Rang gesehen, die nicht viel getaugt haben.
Zu viele Gedanken
»On the road again …«
Willie Nelson dröhnte aus den Lautsprechern unseres Hummers, als wir am nächsten Tag zu unserem Stützpunkt aufbrachen. Musik war so ziemlich die einzige Ablenkung, die wir hier hatten, abgesehen von den gelegentlichen Zwischenstopps in Dörfern und den Gesprächen mit Einheimischen. Neben traditioneller Countrymusik, die mein Kamerad am Steuer bevorzugte, hörte ich auch gerne Toby Keith und Slipknot. Country und Heavy Metal, zwei recht gegensätzliche Stilrichtungen.
Ich bin davon überzeugt, dass Musik eine psychologische Wirkung hat. Ich habe oft genug gesehen, dass sie auf dem Schlachtfeld funktioniert. Wenn man in den Kampf zieht, will man in einer aggressiven Grundstimmung sein. Man will zwar nicht völlig am Rad drehen, aber man will sich doch motivieren. Musik kann einem auch bis zu einem gewissen Grad die Angst nehmen. Wir hörten Papa Roach, Dope, Drowning Pool – alles, was uns aufputschte. (Ich höre diese Gruppen inzwischen regelmäßig, wenn ich Sport treibe.)
Aber auf dem Rückweg zum Stützpunkt konnte mich nichts mehr aufputschen. Es war eine lange, heiße Fahrt. Obwohl ich gerade die gute Nachricht von meiner Beförderung bekommen hatte, war ich schlecht gelaunt, ich war einerseits gelangweilt und andererseits angespannt.
Auf dem Stützpunkt ging alles sehr gemächlich zu. Nichts war los. Und das setzte mir langsam zu.
Solange ich im Kampfeinsatz gewesen war, war die Vorstellung, verletzbar oder sterblich zu sein, etwas, das ich gut verdrängen konnte. Es war auch einfach zu viel los gewesen, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Oder ich hatte so viel zu tun gehabt, dass ich mich nicht in dieses Thema hatte hineinsteigern können.
Aber jetzt konnte ich praktisch an nichts anderes mehr denken.
Endlich hatte ich Zeit zum Ausspannen, konnte es aber nicht. Stattdessen lag ich stundenlang auf dem Bett und dachte über alles nach, was ich erlebt hatte – vor allem darüber, wie es war, angeschossen zu werden.
Immer wenn ich mich schlafen legte, durchlebte ich die Situation aufs Neue. Mein Herz raste, vermutlich wesentlich schneller als damals in der besagten Nacht in Sadr City.
Wenige Tage nachdem wir von unserer Grenzpatrouille zurückgekehrt waren, verschlechterte sich mein Zustand spürbar. Ich konnte nicht schlafen. Ich war fahrig. Extrem fahrig. Und mein Blutdruck schoss wieder in
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