Sniper
Ausbilder behaupten, die Höllenwoche sei zu 90 Prozent reine Kopfsache, und sie haben recht. Man muss beweisen, dass man geistig dazu in der Lage ist, einen Auftrag zu Ende zu bringen, ganz gleich, wie erschöpft man ist. Das ist die Quintessenz, die hinter dieser Bewährungsprobe steckt.
In jedem Fall ist die Höllenwoche aber eine wirksame Methode, die Spreu vom Weizen zu trennen. Um ehrlich zu sein, sah ich das damals allerdings nicht ein. Erst als ich einige Kampfhandlungen erlebt hatte, begriff ich, worum es beim BUD/S-Training wirklich ging. Wenn man im echten Leben unter Beschuss gerät, kann man auch nicht einfach zu einer Glocke spazieren und sie läuten. Man kann dann nicht einfach sagen: »Gebt mir die Tasse Kaffee und den Donut, den ihr mir versprochen habt.« Wenn man aufgibt, stirbt man nicht nur selbst, sondern man reißt seine Kameraden gleich mit in den Tod.
Meine Ausbilder wiederholten während des BUD/S-Trainings immer wieder Sätze wie »Ihr glaubt wohl, das ist schon hart, wie? Na dann wartet erst einmal ab, bis ihr in die Teams kommt. Dann werdet ihr erst recht frieren und müde sein.«
Als ich jedoch während der Höllenwoche am Strand im Wasser lag, dachte ich, unsere Ausbilder würden nur Mist reden. Damals ahnte ich noch nicht, dass einige Jahre später auch ich die Höllenwoche für einen Sonntagsspaziergang halten würde.
Das Frieren bereitete mir die größten Probleme. Ich meine das im wahrsten Sinne des Wortes. Nach der Höllenwoche wachte ich mehrmals am ganzen Leib zitternd auf. Es spielte keine Rolle, ob ich unter mehreren Decken lag oder nicht, mir war immer noch kalt, weil ich im Geiste alles aufs Neue durchlebte.
Es gibt bereits so viele Bücher und Filme über die Höllenwoche, dass ich Ihnen weitere Details ersparen will. Ich sage nur eins: Die Realität ist wesentlich schlimmer als jede noch so schillernde Erzählung darüber.
Rückschlag
Die Woche nach der Höllenwoche heißt Walk Week und dient ganz offiziell der Erholung. Zu jenem Zeitpunkt ist man körperlich so angeschlagen, dass einem buchstäblich alles weh tut und sich jeder Knochen geschwollen anfühlt. Man darf Sportschuhe tragen, muss aber ausnahmsweise mal nicht darin rennen – man geht nur in zügigem Tempo von A nach B. Es ist ein Zugeständnis, das nicht sehr lange währt; schon nach wenigen Tagen geht das brachiale Trainingsprogramm weiter.
»Gut, reißt euch zusammen«, brüllen die Ausbilder. »Das war’s!«
Beim Militär sagt dir dein Vorgesetzter, wann du Schmerzen hast und wann nicht.
Nachdem ich die Höllenwoche überstanden hatte, fühlte ich mich meinem Ziel schon zum Greifen nah. Ich tauschte das weiße T-Shirt gegen ein braunes und begann mit dem zweiten Teil des BUD/S, dem Tauchtraining. Bedauerlicherweise hatte ich mir in der Zwischenzeit eine Erkältung zugezogen. Kurz nach Beginn der zweiten Phase musste ich in den Tauchturm, ein spezielles Übungsgerät, in dem man einen Tauchgang simuliert. In dieser konkreten Situation musste ich mit einer Taucherglocke einen sogenannten Buoyant Ascent, also ein Auftauchen aus großer Tiefe trainieren, bei dem ich den Druckunterschied zwischen Innen- und Außenohr ausgleichen musste. Dies lässt sich mit verschiedenen Methoden erreichen; etwa indem man den Mund schließt, die Nase zuhält und vorsichtig die Luft nach außen presst. Wenn man es nicht richtig macht, kann es allerdings unangenehm werden …
Das war mir zwar bewusst, aber wegen meiner Erkältung bekam ich es einfach nicht hin. Weil ich unerfahren war und es zum BUD/S gehörte, beschloss ich, die Sache durchzuziehen und es auszuprobieren. Wie sich herausstellte, war das eine schlechte Idee: Durch den hohen Druck unter Wasser riss mein Trommelfell. Und als ich dann wieder an die Oberfläche kam, strömte mir Blut aus Ohren, Nase und Augen.
Ich wurde sofort medizinisch versorgt und dann losgeschickt, um meine Ohren untersuchen zu lassen. Mit dem bereits genannten Ergebnis. Wegen dieser gesundheitlichen Probleme wurde ich vorläufig zurückgestellt. Es wurde beschlossen, dass ich mich einem späteren Kurs anschließen sollte, sobald alles verheilt war.
Wenn man zurückgestellt wird, hängt man quasi in der Luft. Da ich die Höllenwoche schon erfolgreich absolviert hatte, musste ich nicht wieder ganz von vorne beginnen – die Höllenwoche muss man zum Glück nicht wiederholen. Ich wollte aber auch nicht einfach herumsitzen und Däumchen drehen, bis ich in den nächsten Kurs einsteigen
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