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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Lord Uckfield. »Gab es viel Verkehr auf den Straßen? Alle diese verdammten Londoner, die aus der Stadt flüchten, sobald die Wettervorhersage ein paar Sonnenstrahlen verspricht. War die Fahrt mühsam?«
    Isabel wollte zu einer weiteren langatmigen Erklärung ansetzen, dass sie nicht von London gekommen wäre, doch ich ersparte ihr die Mühe. »Ich bin mit dem Zug gekommen«, sagte ich.
    »Sehr vernünftig.« Sein rotes Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln, und er entließ uns mit einem Nicken.
    Der Marquess von Uckfield war ein schwerfälliger, beschränkter Mann, doch im Großen und Ganzen kein bösartiger Charakter. Er war sein Leben lang gehätschelt worden und hatte immer Kriecher um sich geschart, in deren Gesellschaft sich Menschen wie er wohl fühlen; solche Schmeichler fanden sich aus den entlegeneren Zweigen der eigenen Familie, aber auch von überall sonst bei ihm ein. So hatte er keine Ahnung, wie schwerfällig und beschränkt er tatsächlich war. Die Plattitüden, die er von sich gab, wurden als salomonische Weisheiten begrüßt, und seine alten Witze, obwohl ohne Komik, mit Lachsalven belohnt. Wenn uns die Lebenserfahrung prägt, muss man sich dann wundern, dass Männer wie Lord Uckfield jeglichen Formats entbehren? Sogar wenn er nicht in Hörweite war, lobten seine Schranzen seine Klugheit und Urteilskraft, obwohl er weder das eine noch das andere besaß. Der Grund dafür leuchtet leicht ein: Wenn sie sich selbst davon überzeugen konnten, dass sie aufrichtig an seine Qualitäten glaubten, bräuchten sie sich nicht als Speichellecker zu fühlen – ein nicht zu unterschätzendes Motiv in der vornehmen Welt. Und wenn Bekannte außerhalb des erlauchten Kreises Zweifel an den Geisteskräften seiner Lordschaft äußerten, konnten sie immer entgegnen:
»Ach, wenn Sie ihn wirklich kennen würden, wären Sie ganz anderer Ansicht.« Damit punkteten sie einmal, weil sie vertrauten Umgang mit einem der großen Häuser hatten, und gleich noch einmal, weil sie so aufrichtig waren. Mangelnde Offenheit konnte man Lord Uckfield nicht vorwerfen, er war nur träge, von jener grundsätzlichen Trägheit, die die Freundschaften der Privilegierten meist ins Leere laufen lässt. Er war schon vor langem zu dem Schluss gekommen, dass Beziehungen mit anderen Personen als Schmeichlern und allen, die er für sein Selbstbild nötig hatte, viel zu anstrengend waren, und hatte solche Anstrengungen eingestellt; doch diese Entscheidung war unbewusst gefallen und er hielt sich immer noch für einen freundlichen Menschen. Eines stimmte: Er sollte Edith nie anders als freundlich behandeln. An ihm gab es zwar nichts Bewundernswertes, aber er war auch kein Snob, und abgesehen von allem anderen freute er sich einfach, dass sie so hübsch war.
    Ich sah, wie sich der Butler an der Tür bemühte, Lady Uckfields Blick auf sich zu lenken. Sie nickte ihm zu, warf ihren professionellen Gastgeberinnenblick in die Runde und kam dann zu mir herüber. »Wir werden gleich zu Tisch gebeten«, sagte sie. »Ob Sie wohl Lady Tenby in den Speisesaal führen könnten?« Sie deutete auf eine kräftige Dame über sechzig, die sich in einen Sessel neben dem Kamin gezwängt hatte. Ich nickte mit zustimmendem Gemurmel, und Lady Uckfield setzte ihre Runde fort. Wir waren fast als Letzte gekommen, die anderen hatten wahrscheinlich ihre Anordnungen bereits erhalten. Ich ging zu meiner Tischdame hinüber, da ich mir schon dachte, ich müsste sie vielleicht auch aus ihrem Sessel hieven. Sie blickte hoch und streckte mir eine feiste, vor Schmuck strotzende Hand entgegen.
    »Führen Sie mich hinein?«, fragte sie. Ich nickte. »Googie organisiert immer alles so exzellent. Sie hätte eine Hotelkette gründen sollen. Helfen Sie mir doch hoch.«
    Die Oberschicht hat ein leidenschaftliches Faible für Spitznamen, Ausdruck einer naiven Pseudo-Ungezwungenheit, bei der mir immer etwas unwohl war. Jeder heißt »Keks« oder »Pinscher« oder »Nuckel«.
Man glaubt, diesen Namen hafte etwas Verspieltes an, ein Anklang an die ewige Kindheit, köstliche Erinnerungen an Nanny und Schlafanzüge, die am Kaminfeuer im Kinderzimmer angewärmt werden, doch in Wirklichkeit sind diese Namen eine schlichte Bekräftigung der Exklusivität, die Erinnerung an eine gemeinsame, alle Neuankömmlinge ausschließende Geschichte, eine weitere Variante, die Vertrautheit miteinander öffentlich zu demonstrieren. Spitznamen bilden einen undurchlässigen Absperrgürtel mit Dichtegarantie.

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