Snobs: Roman (German Edition)
sie Charles mögen?«
Natürlich war das die Frage. Ich folgte dem Blick meiner Nachbarin zu Charles, der gerade sein schwerfälliges, gutmütiges Gesicht in Falten legte und über ein höchstwahrscheinlich geringfügiges intellektuelles Problem nachgrübelte, vor das ihn seine Tischnachbarin gestellt hatte. Ob Edith wohl der Tatsache ins Auge geblickt hatte, wie geistesschlicht er wirklich war? Oder wie trostlos das Landleben sein kann? Caroline las meine Gedanken. »Es ist grauenhaft öde hier, wissen Sie. Edith ist wahrscheinlich darauf gefasst? Den ganzen Sommer Gartenschauen, den ganzen Winter eingefrorene Wasserrohre. Geht sie auf die Jagd?«
»Sie reitet und könnte deshalb vermutlich auch an Jagden teilnehmen.«
»Das reißt die Sache wahrscheinlich auch nicht raus. Wo die Jagdgegner dabei sind, sie abzuschaffen.«
»Vielleicht gehört Edith ja auch zu den Jagdgegnern. Heute weiß man nie.«
»Ach, ich bezweifle, dass Edith gegen sportliches Blutvergießen etwas einzuwenden hat«, sagte Caroline vorsichtig. »Für mich sieht sie sehr nach Raubtier aus.«
»Und wie steht’s mit Ihnen? Jagen Sie?«
»Du lieber Himmel, nein. Ich hasse das Landleben. Ich gehe nicht einmal in den Hyde Park, wenn es sich vermeiden lässt.«
»Was macht Ihr Mann beruflich? Oder ist die Frage vulgär?«
»Sie ist es, aber ich beantworte sie trotzdem. Er ist vor allem in der Werbung tätig, organisiert aber auch Benefizveranstaltungen.«
Ich habe oft gedacht, wie einfach das Leben vor hundert Jahren gewesen sein muss, als jeder Mann aus dem Bekanntenkreis in der Armee oder Marine diente, Pfarrer war oder als Gutsbesitzer seine Ländereien verwaltete. Diese ungewöhnlichen Tätigkeiten, von denen man heute täglich hört und von deren Existenz man bisher keine Ahnung hatte, beunruhigen mich. Headhunting oder Termingeschäfte, Kreditmanagement oder Kommunikatives Kompetenztraining – das alles klingt für mich, als wollte der Betreffende seine wahren Aktivitäten verbergen. Vielleicht stimmt das auch oft. Mir fiel keine passende Antwort ein. »Unterstützt er eine bestimmte Sache?«, erkundigte ich mich.
»Wie haben denn Sie Edith kennen gelernt?«, fragte Caroline ihrerseits, die sich für die Tätigkeiten ihres Mannes offenbar genauso wenig interessierte wie ich. Ich erzählte ihr von den Eastons. »Ich habe mich schon gefragt, was die hier machen. Seltsam, dass wir uns nie begegnet sind, wo sie doch gleich in der Nähe wohnen.«
Ich war froh, dass David zu weit weg von uns saß, um dies zu hören. Danach wandten wir uns allgemeineren Themen zu, und ich erfuhr bald, dass Lady Caroline Chase zu jenen Adelssprösslingen gehörte, die ihrer Erziehung durch ihren Lebensstil, ihre innere Einstellung, die Wahl ihres Partners und der Wohngegend eine schroffe Absage erteilen und dennoch ihren Snobismus ohne Abstriche in ihr neues Leben übernehmen. Ich mochte sie, doch war sie auf ihre Art genauso herablassend wie ihre Mutter, wenn auch vielleicht ohne Lady Uckfields Panzer der moralischen Überzeugung. Für Lady Uckfield war ihre gesellschaftliche Position ein Glaubensartikel, für Caroline lediglich eine Tatsache.
Das Menü nahm seinen Fortgang mit einer Art Apfelschaum als Dessert, dann kam der Käse, und als ich schon erwartete, dass unsere Gastgeberin die Damen um sich scharen und uns Männer bleiernen politischen Diskussionen und dem Portwein überlassen würde, wurde
zu meiner Freude ein unbenutztes Glas im Satz Gläser vor mir mit Champagner gefüllt. Dies also war der Moment.
Lord Uckfield erhob sich. »Ich vermute, wir wissen alle, warum wir heute Abend hier sind.« Das traf wohl zu, wenn auch ein, zwei Gäste etwas überrascht aussahen. Kenneth Lavery selbst, der neben Lady Uckfield platziert war, schien das Wunder gebührend zu bestaunen. »Wir wollen einen sehr charmanten Neuankömmling in unserer Familie begrüßen.« Ich sah Mrs. Lavery an, die verzückt zu Lord Uckfields Rechter saß. An diesem Abend war die Rangordnung außer Kraft. Ich glaube nicht, dass ich Ediths Mutter noch einmal an einem so ehrenvollen Platz gesehen habe. »Wollen wir die Gläser erheben? Auf Edith und Charles.« Wir alle standen mit viel Stühlegescharr und einem nicht unbeträchtlichen Geschnaufe von Seiten Lady Tenbys auf.
»Auf Edith und Charles!« Wir tranken auf das Brautpaar und setzten uns wieder, während der arme Charles sich mit dunkelrotem Gesicht erhob und unnatürlich tiefer Stimme an einer Antwort versuchte.
»Ich habe
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