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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Doch im nächsten Moment sprang Peter auf die Bühne und der Tanz ging mit ihm als Tanzpartner weiter. Gegen Ende wurde Peter eine Schmuckschatulle aus Pappe zugesteckt, die er »Edith«, vor der er nun aufs Knie ging, präsentierte. »Edith« klappte sie auf und begann, sich mit dem glitzernden Tand zu behängen. Das Ganze erinnerte mich an Gillrays aggressive Karikaturen der Schauspielerin Elizabeth Farren, die um 1790 den Earl von Derby heiratete. Ganz unten in der Schatulle war ein Krönchen, eine billige Theaterrequisite mit grellbunten Glassteinen. Beim letzten Ton des Lieds hob »Edith« es hoch und setzte es sich auf den Kopf.
    Aus Fairness gegenüber Peter Broughton muss ich sagen, dass er die unglaublich verletzende Gesamtwirkung der Nummer auf Charles sicher nicht vorausgesehen hatte. Ein solches Ende des Abends war das Letzte, was er beabsichtigt hätte. Er gehörte nicht zu den Klügsten, der Arme, und mir kam der Verdacht, dass Chase oder einer der anderen seine ursprüngliche Idee, Edith auf die Bühne zu bringen, weiter ausgefeilt haben musste. Hätte Edith einfach ein Liebeslied gesungen, wäre dies wahrscheinlich ganz amüsant gewesen, doch so wurde sie – wohl ohne Peters Wissen – vor ihrem Bräutigam als geldgierige, sich hochboxende Abenteurerin durch den Kakao gezogen. Chase und ein paar andere applaudierten lautstark. Sie saßen hinter Charles und konnten sein Gesicht nicht sehen; aber auch so war mir unbegreiflich, wie sie sich einbilden konnten, er würde dies
lustig finden. Doch Chase gehörte zu den Leuten, die jemanden beleidigen und ihn dann fragen: »Verstehen Sie keinen Spaß?« Das hatte er vermutlich schon so oft getan, dass er langsam selbst glaubte, seine Beleidigungen wären witzig und Charles oder alle jene, die dies nicht so auffassten, wären eben blöde Langweiler.
    Charles stand auf. »Ich bin sehr müde. Ich glaube, ich fahre ins Hotel zurück«, sagte er.
    Tommy und ich boten ihm unsere Begleitung an, und damit war der Abend gelaufen. Wir zogen los und überließen es den anderen, Peter darüber hinwegzutrösten, dass die Sache in die Hose gegangen war.
    »Sollen wir ein Taxi rufen?«, fragte Tommy. Es war spät und erheblich kühler als noch ein paar Stunden zuvor, doch Charles schüttelte den Kopf.
    »Hättet ihr etwas dagegen, wenn wir ein bisschen laufen? Ich brauche frische Luft.« Wir gingen schweigend nebeneinander her, bis er wieder anfing zu reden. »Das war ziemlich unfreundlich, oder?«
    »Na ja«, sagte Tommy besänftigend, »ich bin sicher, es war nicht so gemeint. Das Mädchen oder der junge Mann oder wer auch immer hat wohl die Anweisungen missverstanden.«
    »Das war Peters Fehler.«
    »Nun …«
    Charles blieb kurz stehen und blickte stumm vor sich hin. »Wisst ihr, was mich daran am meisten deprimiert hat?« Dazu wäre uns etliches eingefallen, aber wir hielten natürlich den Mund. »Plötzlich habe ich gemerkt, wie abgrundtief dumm die meisten Leute, die ich kenne, in Wirklichkeit sind. Und diese Männer sollen zwölf meiner besten Freunde sein!« Er lachte bitter. »Ich kann mich nur schämen – für sie und für mich.«
    Schließlich gingen wir den ganzen Weg zu Fuß, quer durch Paris. Die anderen mussten längst im Bett gewesen sein, als wir todmüde an der Place Vendôme eintrafen. Wir gingen gleich auf unsere Zimmer. Der Abend musste wohl insgesamt als Pleite abgeschrieben werden  – vor allem in Anbetracht des Planungsaufwands und der Kosten
 –, doch irgendwie hatte mir Charles’ Ausbruch eher Mut gemacht. Ich brauchte mein Urteil über seine Geisteskräfte nicht zu revidieren, doch vor diesem Abend hatte ich nicht gewusst, wie grundanständig er war. Diese Eigenschaft steht heutzutage nicht hoch im Kurs, aber mir schien, dass Ediths Glück bei ihm besser aufgehoben war, als ich gedacht hatte.

6
    Als sie die Augen aufschlug, wusste sie sofort, dass dies der letzte Tag ihres Lebens war, an dem sie als Edith Lavery erwachte. Von nun an wäre dieses Mädchen verschwunden, und was immer die Zukunft bringen mochte, Edith Lavery würde jedenfalls nie mehr zurückkehren. Edith versuchte, sich über ihre wahren Gefühle klar zu werden. Wenn man zu einer Entscheidung gezwungen wird, hilft es ja oft, eine Möglichkeit laut auszusprechen, um zu erkennen, dass man viel lieber die andere Möglichkeit wählen würde; also befragte Edith ihren Bauch, ob sie nicht einen fürchterlichen Fehler beging, denn dies war der Tag, an dem sie sich

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