Snobs: Roman (German Edition)
erklärt, dass Geld in England nicht von Bedeutung ist, dass man auch ohne einen Penny der vornehmen Gesellschaft zugehören kann, dass Grundbesitz heutzutage vor allem eine Last bedeutet – doch im Grunde seines Herzens glaubt er kein Wort davon. Er weiß, dass die Familie, die alles verloren hat außer dem Titel, jene Duchess in einem der kleinen Häuser beim Cheyne Walk, jener Viscount mit einer kleinen Wohnung in der Ebury Street, in der Porträts und Gemälde des alten Landsitzes hängen (»Heute ist das eine Art Ausbildungszentrum für Landwirtschaft«), für ihresgleichen deklassiert sind. Man braucht wohl nicht zu betonen, dass man sich über dieses Bedürfnis nach konkreter Manifestation gesellschaftlichen Rangs genauso ausschweigt wie über das Ritual der Freimaurerloge.
Die Stellung der Broughtons war ungewöhnlich solide. In den Neunzigerjahren gab es wenige Familien, die so gut dastanden, und der Tag würde kommen, an dem Charles Broughton Hall als Eigentümer betreten würde. Bei Tommys Ausführungen kam mir der Verdacht, Charles befürchte womöglich, dass Leute, die ihm in der Marmorhalle ehrfürchtig die Hand schüttelten, ihn im Wohnzimmer eines Bauernhauses für einen gewöhnlichen Menschen halten könnten. Doch in diesem Punkt irrte ich mich.
Tommy schüttelte den Kopf. »Nein, Charles hätte nichts dagegen. Er hatte sich inzwischen an die Vorstellung gewöhnt.« Er machte eine nachdenkliche Pause, fuhr dann aber doch nicht fort. »Nun ja. Ich muss mich umziehen.«
Zum Dinner versammelten wir uns im Salon, den die Familie täglich benutzte, ein hübscher Raum auf der Gartenseite, viel weniger steif als der daneben liegende Rote Salon, in dem das Verlobungsessen stattgefunden hatte. Außer Tommy fand ich einige vage bekannte Gesichter. Peter Broughton war dort, wenn auch ohne seine fade Blondine. Lady Tenbys älteste Tochter Daphne, die inzwischen mit
dem reichlich unterbelichteten zweiten Sohn eines Earls in den Midlands verheiratet war, unterhielt sich in einer Ecke mit Caroline Chase. Sie blickten hoch und warfen mir ihr gepflegtes Gesellschaftslächeln zu. In banger Vorahnung sah ich mich nach Eric um und entdeckte ihn, wie er gerade einen Whisky kippte; er hielt einem bedauernswerten alten Herrn einen Vortrag über die momentanen Verhältnisse in der City. Der festgenagelte Zuhörer blickte mit dergleichen Begeisterung in Erics rotes Gesicht wie ein Reh, das im Scheinwerferkegel eines herannahenden Autos erstarrt.
»Was möchten Sie denn trinken?« Lady Uckfield stand plötzlich neben mir und beauftragte Jago, mir ein Glas Scotch mit Wasser zu holen. Sie folgte meinem Blick. »Du lieber Himmel! Erics Smalltalk ufert aus.«
Ich lächelte. »Wer ist denn der glückliche Empfänger seiner vertraulichen Mitteilungen?«
»Henri de Montalambert, der Arme.«
Irgendwie wusste ich, dass der Duc de Montalambert ein angeheirateter Verwandter der Broughtons war. Seine Herzogswürde galt nach französischen Maßstäben als nicht besonders exklusiv (die Franzosen haben sehr viel mehr Herzöge als die Engländer und können sich daher Zwischenabstufungen leisten), da sie erst 1820 von Ludwig XVIII. verliehen worden war. Doch eine Heirat mit der Erbin eines Stahlmagnaten aus Cincinnati Ende des neunzehnten Jahrhunderts hatte die Familie auf Augenhöhe mit den Trémouilles und Uzès gehoben. Lady Uckfield hatte von ihm gesprochen wie von einem alten Freund der Familie, doch da sie ihre wahre Meinung über eine Person immer verbarg, sogar vor sich selbst, war ich wie üblich nicht in der Lage, den tatsächlichen Grad der Vertrautheit abzuschätzen. »Er sieht etwas benommen aus«, sagte ich.
Sie nickte mit einem unterdrückten kleinen Lachen. »Ich kann mir nicht vorstellen, was er sich aus dem Ganzen zusammenreimt. Er spricht kaum ein Wort Englisch. Egal. Eric wird es nicht bemerken.« Sie nahm mein Lachen als Huldigung entgegen, wies mich aber gleich darauf zurecht. »Na, na! Sie dürfen mich nicht als herzlos hinstellen.«
»Wie lange bleibt Monsieur de Montalambert?«
Lady Uckfield verzog das Gesicht. »Die vollen drei Tage. Was sollen wir bloß mit ihm machen? Ich bin immer noch bei où est la plume de ma tante , und Tigger kann nicht einmal encore richtig aussprechen. Henri hat eine Cousine von uns geheiratet – das war vor dreißig Jahren, und ich bezweifle, dass wir seither die gleiche Anzahl Worte miteinander gewechselt haben.«
»Dann gibt es also eine Englisch sprechende
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