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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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erleben musste. Da wurde ich in Badezimmer gewiesen, wo gerade mal ein
kalter Spritzer braunen Wassers den Hahn verließ, in Zimmer mit nicht schließender Tür, mit papierdünnen Decken und steinharten Kissen auf dem Bett. Ich bin eine Stunde über Land gefahren, um mit vornehmen Verwandten meines Vaters zu speisen, die mir ein Würstchen, zwei kleine Kartoffeln und achtundzwanzig Erbsen auftischten. Bei einer Gesellschaft, die in Hampshire zu einem Ball versammelt war, habe ich einmal so gefroren, dass ich schließlich meine ganze Kleidung und zwei fadenscheinige Handtücher auf mich türmte und mit einem abgetretenen türkischen Bettvorleger beschwerte, dem einzigen Stück wärmenden Bodenbelags im Zimmer. Als mich meine Gastgeberin am nächsten Morgen weckte, verlor sie kein Wort über den textilen Sarkophag, in dem sie mich vorfand, und zeigte nicht das geringste Interesse daran, ob ich überhaupt ein Auge zugetan hatte. Wenn man an die Belle Epoque denkt, die im Luxus schwelgte, mutet es seltsam an, dass deren Enkel so wenig dafür übrig hatten. Erst in letzter Zeit habe ich festgestellt, dass die Annehmlichkeiten, auf die neuer Reichtum heutzutage Anspruch erhebt, allmählich auch auf die Häuser der anciens riches abfärben, doch das hat weiß Gott lange genug gedauert.
    Als Antwort auf meine Frage schüttelte Tommy den Kopf. »Nein, nein. Geizig sind die hier nicht. Nicht die Spur. Lord U. schüttet einem das Zeug nur so rein. Aber es ist einfach zu kompliziert, sich zum Umkleiden einen Drink kommen zu lassen.«
    Wir setzten uns und plauderten eine Weile, und ich fragte Tommy, ob er die Broughtons öfter sehe.
    Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Sie hocken hier richtig fest. Ich muss schon sagen, es überrascht mich ziemlich, dass sich Edith damit zufrieden gibt, sich ständig im Dorf zu betätigen und pausenlos Preise zu verleihen, doch sie lassen sich in London wirklich kaum blicken.«
    Auch ich fand das reichlich überraschend. Besonders, da das junge Paar immer noch mit Charles’ Eltern im großen Haus wohnte. Kurz nach der Hochzeit hatte es Pläne gegeben, eines der Bauernhäuser zu renovieren, und ich fragte Tommy, ob er den Stand der Dinge kenne.
    »Ich bin gar nicht sicher, dass sie die Sache weiterverfolgen«, sagte er. »Ich glaube, sie haben kein Interesse mehr daran.«
    »Wirklich?«
    »Ich wundere mich auch. Komisch, was? Sie will hier bleiben und ihre Schwiegereltern sind entzückt, deshalb wird die Renovierung von Brook Farm wohl schnell beendet und das Haus vermietet werden.«
    »Haben sie denn im Haus eine eigene Wohnung?«
    »Nichts Abgeschlossenes. Eine Art Salon für Edith oben, und Charles hat natürlich sein Arbeitszimmer. Aber das ist auch schon alles. Wie in diesen amerikanischen Seifenopern, wo alle hundert Millionen schwer sind und sich trotzdem in einem Haus mit Riesentreppe tummeln.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Dieses Arrangement kommt Charles sicher entgegen, aber eine junge Frau kann doch kaum Gefallen daran finden.«
    Charles war ja wie alle seinesgleichen nicht unempfänglich dafür, überall bevorzugt behandelt zu werden – er nahm es sogar übel, wenn ihm eine solche Behandlung verwehrt wurde, wie Edith bereits beobachtet hatte; und so konnte ich gut nachvollziehen, dass es ihm schwer fallen würde, die extravagante Kulisse von Broughton Hall tatsächlich aufzugeben, auch wenn er sein Leben lang so getan hatte, als wäre sie ihm gar nicht bewusst.
    Die englische Oberschicht hat das tiefe, unbewusste Bedürfnis, ihre Andersartigkeit an den sie umgebenden Gegenständen abzulesen. Nichts ist für sie deprimierender (oder weniger überzeugend), als ohne Stammbaum, ohne Auszeichnungen in der Familiengeschichte, ohne die erforderlichen Beziehungen und Requisiten Anspruch auf Rang und Stellung zu erheben. Nicht im Traum würden sie bei der Einrichtung eines Einzimmerapartments in Putney auf das Aquarell irgendeiner Großmutter in ihrer Krinoline verzichten, dazu kämen zwei, drei anständige Antiquitäten und am besten noch ein Souvenir aus einer privilegierten Kindheit. Diese Dinge sind eine Art Zeichensprache, die dem Besucher deutlich macht, wo im Klassensystem ihr Besitzer angesiedelt ist. Doch das wahre Erkennungszeichen, der
entscheidende Test, ist die Frage, ob die Familie ihren Sitz und ihre Güter erhalten konnte. Oder wenigstens einen ansehnlichen Teil davon. Vielleicht wird man einmal Zeuge eines Gesprächs, wie ein Adeliger einem amerikanischen Besucher

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