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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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gewesen! Wie viel Freude hatten ihr in der Anfangszeit allein die Monogramme auf ihrer Bettwäsche bereitet, die damastbezogenen Lehnsessel in ihrem Salon, die Derby-Figurinen auf ihrem Schreibtisch, das Telefon mit den Knöpfen für »Stallungen« und »Küche«, der Lakai Robert, der vor Nervosität errötete, als er ihre ausgepackten Koffer abholen kam, die Schwäne auf dem See, sogar die Bäume im Park.
    Sie war eine Prinzessin im Märchenland. Und wie schnell hatte sie sich die Kniffe angeeignet, wie man gnädige Herablassung ausstrahlt, sich seiner eigenen luxuriösen Umgebung demonstrativ unbewusst gibt und durch eine aufgesetzte Lockerheit andere befangen macht. Sie ergötzte sich am Unbehagen, das die Eastons bei ihrem Triumph empfanden, endlich am Tisch der Broughtons zu sitzen, aber umgeben von Leuten, die alle einander und nur sie nicht kannten. Sie hatte sich von der kürzlich ums Leben gekommenen Prinzessin von Wales
ein paar Tricks abgeschaut und damit ihre warmherzige, reizende Umgangsweise mit der Dorfbevölkerung perfektioniert, jene Mischung aus alle Erwartungen erfüllender Prominenz und betonter Zwanglosigkeit, der garantiert alle Herzen zufliegen. Sie strahlte und schwärmte begeistert, wenn ihr die neuen Einrichtungen der Spielgruppe vorgeführt wurden oder wenn sie bei der Blumenschau Preise verlieh, und gewann so neue Freunde und entwaffnete alte Skeptiker. Wie viel Spaß es doch machte, die Kinder dabei zu überraschen, wenn sie schüchtern zu ihr aufsahen, sie mit einem plötzlichen, gewinnenden Lächeln zu verzaubern und diesen Sonnenstrahl anschließend auf die Mütter zu richten! Aber es war wiederum auch so simpel …
    Mit einem leisen Ächzen stemmte sie sich aus dem Wasser hoch, drehte den Hahn ab, zog den Stöpsel heraus und ging ins Schlafzimmer, um in ihrem Frühstück zu stochern. Mary hatte das Bett gemacht und das Feuer im Kamin angezündet – ein extravaganter Luxus, vor allem im September –, und ihr Tablett stand auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers, eine Augenweide wie immer. Zwischen dem bezaubernden Porzellan mit dem Blumenmuster steckten die an sie adressierten Briefe, Bitten, Dankesschreiben, Einladungen zu langweiligen Partys auf dem Land, zu denen sie gehen würden, und zu amüsanten Partys in London, zu denen sie nicht gehen würden. Sie überflog die Briefe desinteressiert, als sie in ein Stück Toast biss, goldbraun geröstet und ohne Kruste. Mary hatte ihre Kleider bereitgelegt, einen Tweedrock, eine Baumwollbluse, eine Strickjacke mit Kaninchenmotiv. Das würde sie anziehen, dazu Perlen und nicht sehr vernünftige Schuhe, ein Kostüm für die niemals endende Rolle, die sie nun spielte. Sie dachte an den vor ihr liegenden Tag: einige Besorgungen, die Bibliothekarin, Mr. Cook zum Lunch, eine Ausschusssitzung im Dorf zur Vorbereitung der Sommerschau, eine Cousine von Googie zum Tee. Öde Aussichten.
    Obwohl Edith bereits zu dem Schluss gekommen war, dass die Wiederaufnahme eines Londoner Lebens nicht sehr vernünftig wäre, hatte sie ihre Einwände noch nicht konkret zur Sprache gebracht. Sie
murmelte nur, das sei keine gute Idee, ohne sich genauer auszulassen. Sie rechtfertigte sich selbst gegenüber dieses Gefühl mit der Beobachtung, wie »ausgeschlossen« sich Charles in Gesellschaft ihrer Freunde fühlen würde. Seine Londoner Bekannten ähnelten stark den Leuten, mit denen sie ihre Zeit in Sussex verbrachten. Und es stimmte ja auch irgendwie, wenn sie sagte, wie sehr Charles London hasse und dass auch sie das Londoner Leben satt habe. Doch dabei redete sie immer von einem Londoner Leben mit Charles. In ihr lauerte bereits das möglicherweise fatale Gefühl, es könnte weitaus amüsanter und daher auch gefährlicher sein, sich allein in der Hauptstadt aufzuhalten. Immerhin gestand sie sich nur gelegentlich und auch dann nur ganz leise ein, dass sie reif für einen Liebhaber war.
    Edith bildete sich etwas darauf ein, dass sie sich mehr oder weniger von einem Augenblick zum nächsten in eine große Dame verwandelt hatte, und befolgte alle Regeln ihres neuen Lebens, als wäre sie dafür geboren. Sie hatte inzwischen völlig aus den Augen verloren, dass sie eben nicht dafür geboren war. Sie war dem Selbstbild ihrer Mutter erlegen und auf rätselhafte Weise zur Überzeugung gelangt, dass sie im niederen Adel aufgewachsen war und in den Hochadel eingeheiratet hatte. Das entsprach zwar in keiner Weise den Tatsachen, hatte aber den unschätzbaren Vorteil, dass

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