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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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sie sich Charles gegenüber weniger stark zu Dankbarkeit verpflichtet zu fühlen brauchte.
    Ihr frisch erworbener Rang brachte zwangsweise auch neue moralische Maßstäbe mit sich. Edith hatte die letzten Spuren bürgerlicher Kleinlichkeit stolz abgeschüttelt und übernahm bereitwillig die kalten, nüchternen Werte, die ebenfalls zur »großen« Welt gehörten, der sie sich verschrieben hatte. Sie hatte sich schnell in eine jener tadellos gekleideten Frauen verwandelt, die sich zum Lunch treffen und Dinge sagen wie: »Was soll die Aufregung? Die beiden Jungen sind doch eindeutig von ihm«, oder: »Wie dumm von ihr, in ein, zwei Jahren wäre Gras über die Sache gewachsen«, oder: »Oh, das macht ihr gar nichts aus. Ihr Liebhaber ist gerade von Paris hierher gezogen«. Wobei sie verschwörerisch die Stimme dämpfen und halb hoffen,
dass jemand mithört, während sie in ihr Radicchioblatt beißen. Auch Edith schützte ein Grauen vor Publicity vor und entwickelte ein echtes Grauen vor Skandalen, beides unabdingbar in Charles’ Kreisen. Selbst mit diesen stereotypen Haltungen verbanden sich bei ihr durchaus aufrichtige Gefühle. Edith hatte für Skandale nichts übrig. Schon gar nicht bewunderte sie Leute, die »es geschafft« und dann wieder »vermasselt« hatten. Sie hatte es geschafft und hatte jede Absicht, im Sattel zu sterben.
    Und doch … und doch … Alle diese Gedanken zogen ihr durch den Kopf, als sie noch einmal von ihrem Toast abbiss und beschloss, Charles vielleicht doch zur Brook Farm zu begleiten.
     
    Sie brauchte mir später nicht zu erzählen, dass sie sich dem Inspektionsgang angeschlossen hatte, da ich ihren Aufbruch von einem der Fenster an der Gartenfront beobachtete. Wir waren den zweiten Tag im Haus und verbrachten einen jener zerstückelten, unbefriedigenden Vormittage mit Aufnahmen, wie wir aus Türen treten und Gänge entlanggehen. Natürlich alles sehr nützlich, um ein Gefühl fürs Kostüm zu bekommen oder sich mit dem Kameramann anzufreunden, aber nicht gerade anspruchsvoll. Bella saß neben mir am Fenster, diesmal in ein braunes Reisekostüm geschnürt; sie war ganz darin vertieft, sich eine dünne Zigarette zu drehen, ein letztes Relikt aus ihrem früheren Boheme-Leben in den Sechzigerjahren. Simon war auch bei uns, aber ohne Kostüm, weil er heute drehfrei hatte. Er gehörte einfach zu den Schauspielern, die dem Set nicht fernbleiben können und sich lieber für eine einminütige Wiederholungssequenz einbestellen lassen, auf die sie den ganzen Tag im Make-up warten, als sich freizunehmen.
    »Wo gehen die denn hin?«, fragte Bella, als sich das Paar auf den Weg durch den Park machte.
    »Charles will nachsehen, ob im Bauernhaus für uns noch Arbeiten notwendig sind.«
    »Was glaubst du, wie lange es noch dauert, bis wir einziehen können?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Wir können wohl gleich rein. Wenn es uns nichts ausmacht, dass alles sehr einfach ist.«
    »Ich würde lieber im Biwak kampieren als noch eine Nacht im Hotel verbringen«, sagte Bella mit einem trockenen Lachen, als sie die Flamme vor ihren anscheinend unbrennbaren kleinen Glimmstängel hielt.
    Simon warf einen weiteren Blick auf die sich entfernenden Gestalten. »Ich glaube, ich gehe mit. Ich kann ihn bremsen, wenn er unnötigen Wirbel macht. Schließlich wollen wir heute Abend noch rein, wenn’s geht.« Er nickte uns zu und ging davon. Bella und ich sahen ihm schweigend nach.
    »Und weg ist er. Um neue Herzen zu brechen.«
    »Magst du ihn nicht?«
    Sie beugte sich herab, um sich noch besser auf ihre kümmerliche Selbstgedrehte zu konzentrieren. »Was heißt da, nicht mögen? Ich bin nur ein bisschen erschöpft von dem ganzen Charme.«
    »Ich glaube nicht, dass Charles diesen Charme überhaupt bemerkt«, sagte ich.
    »Er vielleicht nicht. Aber sie schon. Und gestern Abend hatte ich den Eindruck, dass er gar nicht gut bei ihr ankommt. Ich hoffe nur, er vermasselt nicht schon alles, bevor wir überhaupt einziehen.«
    Das tat er nicht. Oder nicht so sehr, dass wir an diesem Abend nicht nach Brook Farm übersiedeln konnten. In der Mittagspause saßen wir auf dem Kiesplatz vor dem Haus an einem klapprigen Cateringtisch und versuchten, dem Imbiss aus der Pappschachtel etwas abzugewinnen, als Simon triumphierend zurückkehrte, vor uns herumtanzte und mit der Faust in die Luft stieß. »Wir sind drinnen!«
    »Wann?«
    »Heute.«
    »Was ist mit dem Hotel?«
    »Alles schon erledigt. Ich hab gleich für uns alle drei die

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