Snobs: Roman (German Edition)
Schleusentore einmal geöffnet hatte, wurde Edith wie erwartet genau von jenen Journalisten zerfleischt, die sie vor nicht allzu langer Zeit als Charles’ Braut so beflissen hofiert hatten. Die Zeiten waren für Edith ungünstig: Man war von der Major-Regierung enttäuscht, New Labour führte vor einer zunehmend faszinierten Wählerschaft den Tanz der sieben Schleier auf – eine Enthüllung folgte der anderen –, und dieser Fall moralischer Verkommenheit traf auf einen empfindlichen Nerv. Daher gab es im rechten Spektrum der Presse kritische Kolumnen von Lynda Lee-Potter in der Daily Mail , im linken Spektrum abfälligen Spott im Satiremagazin Private Eye . »Edith, Erfolg aus eigener Kraft«, wurde ersetzt durch »Edith, Emporkömmling par excellence «, mit ihrer Gier und Habsucht offenbar ein Spiegel der Ellbogengesellschaft, deren Grundlagen Mrs. Thatcher geschaffen hatte. Wie beim Hamilton-Skandal oder der Scheidung von Prince Charles und Lady Diana Spencer war bald klar, dass die tatsächlichen Ereignisse und Persönlichkeiten an Bedeutung verloren und stattdessen nur noch die Werte zählten, für die sie dem Beschluss der Presse nach standen. Wie vorauszusehen, war der Skandal
ein Alptraum für die Uckfields, die noch zur alten Schule gehörten, nach deren Regeln der Name einer ehrbaren Dame nur dreimal im Druck zu erscheinen hat: bei Geburt, Verehelichung und Ableben. Dass nun ihre Schwiegertochter in den Schlagzeilen stand, war für die Uckfields, als würden sie nackt auf einen öffentlichen Platz getrieben und ausgepeitscht; was für sie schon schrecklich war, war für Charles die Hölle. Da die Presse bereits Lockerungsübungen für die Blair-Riege machte, die längst für die Machtübernahme trainierte, war es etwas unlogisch, dass Charles, der nichtswürdige Aristokrat, als unschuldige Partei wegkam – wahrscheinlich ließ sich die Geschichte einfach nicht anders drehen. Trotzdem war es ein Martyrium für ihn, den Ehebruch seiner Frau so hämisch breitgetreten zu sehen. Je häufiger die Journalisten in Broughton anriefen und ihn bedrängten, »seine Sicht« der Dinge darzulegen, desto stärker erlebte er die Berichterstattung als feindliche Invasion und Schändung. Bei ihm war die Angst vor einem Skandal nicht aufgesetzt, sondern tief in seinen Überzeugungen verwurzelt, und jetzt steckte er mittendrin. Er wurde bestraft, obwohl er nichts falsch gemacht hatte. Dies war jedenfalls Charles’ Sicht des ganzen hässlichen Vorfalls, die ich nicht für unrichtig halte.
Nachdem dieser Zirkus einige Wochen im Gange war, ergab es sich, dass Adela und ich zu einem Abendessen bei einer Schauspielerin eingeladen wurden, die vor kurzem in einem Fernsehthriller Simons Mutter gespielt hatte. Ich nahm die Einladung an, hielt es aber für höchstwahrscheinlich, dass die Jungverliebten auch dort sein würden.
Adela war ganz gelassen, als ich es ihr sagte. »Also, ich werde nicht aus dem Raum stolzieren oder sie schneiden, falls du dir deshalb Gedanken machst.«
»Ich mache mir keine Gedanken. Ich erzähle dir nur, dass sie vielleicht auch eingeladen sind. Ich glaube, es ist wünschenswert, eine öffentliche Parteinahme zu vermeiden.«
»Das versteht sich wohl von selbst«, sagte sie in einem vernichtenden Ton. »Allerdings«, fügte sie hinzu, warf einen ungewöhnlich forschenden Blick in den Spiegel und griff mit großem Ernst nach ihrem
Lippenstift, »sie küssen und ihr Glück wünschen werde ich auch nicht.«
Ich hatte übrigens Recht, Edith und Simon standen an diesem Abend tatsächlich auf der Gästeliste. Edith sagte mir später, dass sie eigentlich nicht hingehen wollte, da sie seit dem Ausbruch des Skandals jeden Abend unterwegs gewesen waren, doch Simon hatte nicht lockergelassen. Wie viele enttäuschte Schauspieler hing er der Illusion an, es sei gut, »gesehen« zu werden. In Wirklichkeit ist es gut, engagiert zu werden; ob man sich auf Partys zeigt, ist ohne Belang. Doch nun hatte er eine Geliebte, die Schlagzeilen machte, und er wollte vermutlich Kapital daraus schlagen. Rückblickend habe ich den Verdacht, Simon bedauerte es, dass sie die Liaison nicht bewerkstelligen konnten, ohne dass Edith Charles verließ. Doch da es nun einmal zum Bruch gekommen war, wollte er von der Publicity möglichst ausgiebig profitieren.
Simon Russell gehörte zu den Schauspielern, deren anfängliche Erfolge einen Ruhm versprachen, der sich dann nie so recht einstellen wollte. In den Anfangstagen bekam er die
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