Snobs: Roman (German Edition)
Wenn Außenstehende von »erfolgreichen Schauspielern« reden, meinen sie grob gesagt Stars, von denen sie gehört haben, während sie als »erfolglos« jene sechzig Prozent bezeichnen, die sich von ihrem Beruf nicht einmal richtig ernähren können. Man braucht kein Mathematiker zu sein, um zu erkennen, dass es zwischen diesen beiden Extremen eine große Gruppe Schauspieler gibt, denen es ganz gut geht, die ein vernünftiges Einkommen haben, die in ihrer Branche bekannt sind und von denen jeder für eine neue Fernsehproduktion engagiert werden könnte, die »über Nacht«, wie die Zeitungen so gern schreiben, den Durchbruch bringen kann. Das ist die Falle, in die viele Schauspieler tappen. Es ist leicht, etwas sausen zu lassen, bei dem man keinen Erfolg hat, aber nahezu unmöglich, etwas aufzugeben, bei dem man fast Erfolg hat. Simon Russell gehörte eindeutig zur letzten Kategorie.
Ich schindete etwas Zeit, als unser Hauptgericht gebracht wurde. »Das Problem besteht darin, Charles: Welches Argument würde irgendetwas an ihrer Haltung ändern? Wie ich Ihnen gerade gesagt habe, halte ich sie für total verrückt, aber sie ist eine erwachsene Frau. Es geht über meinen Verstand, wie sie aufgeben kann, was Sie ihr geboten haben, um mit einem Schauspieler von mittelmäßigem Talent und noch mittelmäßigerem Einkommen zu leben. Doch das weiß sie bereits alles, und ich habe keine Ahnung, was ich dem noch Überzeugendes hinzufügen könnte.«
»Vermutlich liebt sie ihn. Vermutlich ist es Sex.« Er spuckte das Wort so heftig aus, dass die beiden Männer am Nebentisch kurz in unsere Richtung blickten.
»Sex könnte es schon sein«, sagte ich. »Aber ich bin mir überhaupt nicht sicher, dass sie ihn liebt.«
Charles runzelte missbilligend die Stirn. »Da kann ich Ihnen nicht ganz folgen«, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit den Knochen seiner Lammkoteletts zu, die er so heftig zu attackieren begann, als wollte er unbedingt noch das letzte essbare Fitzelchen abkratzen.
Offensichtlich wollte Charles nicht einräumen, dass seine Frau zwischen diesen beiden Dingen einen Unterschied machen könnte, dass sie in der Lage wäre, körperlicher Lust zu frönen, ohne mit dem Herzen dabei zu sein. Ein Zug an ihm, der ihn mir äußerst sympathisch machte.
Wir sprachen nicht mehr viel. Als ich wieder auf der Piccadilly war und die Ritz-Arkaden zur U-Bahn-Station Green Park entlangschlenderte, wusste ich nur, dass ich mich dazu hatte breitschlagen lassen, Edith anzurufen und »vernünftig« mit ihr zu reden.
15
Wie sich herausstellte, war Edith einem Treffen durchaus nicht abgeneigt – »solange du nicht anfängst, mir eine Strafpredigt zu halten«. Ihre Bereitschaft war nicht weiter überraschend. Schon Freud hat diesen Enthüllungszwang beschrieben, der uns allen in den Rücken fällt. Sie sehnte sich regelrecht danach, mit jemandem zu reden, der alle beteiligten Personen kannte, und da sie von einem geeigneten Zuhörer auch ein gewisses Mitgefühl erwartete, fiel ich wohl unter diese Kategorie. Wir einigten uns auf ein billiges kleines Restaurant mit fröhlicher Atmosphäre in der Milner Street, das leider ein Opfer der Sanierung geworden ist und längst nicht mehr existiert; wir hatten uns gelegentlich dort getroffen, als Edith noch bei dem Makler arbeitete. Als ich ankam, saß sie bereits in einer Ecknische. Sie hatte sich einen Schal um den Kopf gebunden und tief in die Stirn gezogen.
»Ich vermute, Charles hat dich auf mich angesetzt?«, fragte sie. Ich nickte, da es nun einmal so war. »Wie geht es ihm?«
»Was glaubst du wohl?«
»Armer Schatz.«
»Ganz recht.«
Sie zog ärgerlich die Nase kraus. »Jetzt tu nicht so, als wäre ich ein gemeines Biest.«
»Aber ich halte dich für eins.« Wir wurden – vielleicht gerade rechtzeitig – von der Ankunft der Bedienung unterbrochen. Es ließ sich leicht erkennen, dass Edith das Abenteuer ungeheuer genoss. »Wie geht es Simon?«, fragte ich.
»Hervorragend. Er trifft sich zum Lunch mit seiner neuen Agentin. Anscheinend ist sie der Meinung, dass Simon der geborene Nachfolger von Simon McCorkindale ist.«
»Und das findest du gut, oder?«
»Sehr gut«, sagte sie spitz und sah mich tadelnd an. »Jedenfalls besser als die Einstellung seiner letzten Agentin – die schien immer zu glauben, dass er Glück hatte, überhaupt eine Rolle zu kriegen.«
»Arbeitet er gerade?«
»Es steht ein Engagement für ein Theaterstück in Bromley an. Eine Neuinszenierung von
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