Snow Angel
ich sie überfordert? Hätte ich von vorn herein gar nichts mit ihr anfangen dürfen?
Es wird ihm bewusst, dass aus seiner anfänglichen Souveränität, die ihm das Gefühl vollkommener Überlegenheit gegeben hatte, sehr schnell ein Strudel geworden ist, in dem es keinen Halt mehr gab. Aus dem spielerischen beherrschten Geplänkel war tiefster Ernst geworden. Was zweieinhalb Jahre lang für ihn undenkbar gewesen war, hat ihn mit voller Wucht erwischt. Und er wird die Angst nicht los, seine Chance ein für alle Mal vertan und alles verloren zu haben.
Der Förster wartet, an seinen Pick Up gelehnt. Simons Gesicht erhellt sich. Hubert ist ihm schon ein väterlicher Freund gewesen, als er noch ein kleiner Junge war. Alles, was der Wald an Geheimnissen verbirgt, hat er ihm nicht nur zu entdecken geholfen, sondern hat ihn auch gelehrt, sorgsam damit umzugehen. Selten bedarf es vieler Worte zwischen den beiden Männern. Jetzt aber vermittelt Hubert den Eindruck, ihm „ein paar Takte“ sagen zu müssen. „Simon, was hat es mit dem Mädchen auf sich?“
Der müde Ansatz, die Absturzgeschichte und die Vorgänge bezüglich des Wilderers zu schildern, möglichst sachlich zu bleiben, wird jäh von Hubert unterbrochen. „Erzähl mir keinen Kokolores. Das kenne ich schon alles. Ich will von dir wissen, was du mit ihr angestellt hast, das sie in einen so jämmerlichen Zustand versetzt hat!“ Hubert sieht Simon forschend an. Der hält seinem Blick nicht stand, dreht sich weg, stützt seine Hände an das Wagendach, bemüht sich mit gesenktem Kopf um halbwahre Ausflüchte. „Es ist anscheinend so, dass sie sich in mich verliebt hat“, sagt er sehr leise.
„Es ist anscheinend so, mein lieber Junge, dass nicht nur sie sich in dich verliebt hat. Ich kenne dich, seit du aus dem Ei geschlüpft bist. Und es wäre ausgesprochen sinnvoll, wenn du weder mir noch dir selbst jetzt etwas vormachen würdest!“
„Ich mache mir nichts vor, Hubert! Du hast recht und unrecht zugleich.“ Simon dreht sich um und sieht dem alten Freund entschlossen ins Gesicht. „Ich darf mich nicht verlieben, darf auch keiner Frau Hoffnung machen, denn ich warte auf Laura.“
Schon lange hat Hubert auf den Moment gehofft, ihm endlich zu sagen, was er über die Sache denkt. Er nimmt Simon bei den Schultern und sieht ihn fest an. „Simon, du spinnst! Es gibt zu ihrem Verschwinden nur zwei sachlich richtige Überlegungen. Die eine ist: Sie ist verschwunden, weil sie ihr Leben hinter sich lassen wollte. Und zu ihrem Leben gehörtest auch du. Diese Variante halte ich für die unwahrscheinlichere. Die zweite, und der wirst du einfach endlich ins Auge sehen müssen, ist die endgültige. Laura lebt nicht mehr, Simon. Und das wird nicht unwahr dadurch, dass sie bisher nicht gefunden worden ist. Du bist jung, du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Glaubst du wirklich, sie hätte gewollt, was du tust? Wie auch immer sie umgekommen sein mag, ich bin sicher, ihre letzten Gedanken galten dir und deiner Zukunft. Es wird Zeit, dass du sie endlich loslässt und wieder zu leben beginnst!“
„Loslassen kann ich nicht, Hubert! Und sag nicht, ich hätte es nicht wirklich versucht! Lizzy ...“
Der Förster unterbricht ihn sofort. „Komm, dieses aufgetakelte Geschöpf, das dir dein Vater als Trostpreis an den Hals gehängt hat, hat doch dein Herz nicht für einen einzigen Moment erreicht! Die Kleine, die ich da vorhin heim gebracht habe, die hat doch den Simon, den ich kenne, den Mann, den ich kenne endlich wieder aufgeweckt! Ich bin doch nicht blind, Mensch!“
„Du hast recht! Anfangs war es ein Spiel mit dem Feuer. Ich wollte rausfinden, ob sie sich in mich verliebt. Und sie ist mir völlig arglos auf den Leim gegangen. Was soll auch sonst dabei herauskommen, wenn du einen Mann und eine Frau zusammen drei Tage lang in eine eingeschneite Hütte sperrst, nicht? Nur mal vorausgesetzt, sie sind sich nicht völlig zuwider.“
„Na ja, dass sich da körperliche Gelüste bemerkbar machen, ist vielleicht nicht ganz ausgeschlossen“, nickt Hubert mit einem Grinsen, „aber da ist doch noch mehr passiert. An welcher Stelle hast du denn den Überblick verloren?“
„Das kann ich dir nicht so konkret sagen! Aber wenn ich es genau betrachte, ist mir das spätestens richtig klar geworden, als sie plötzlich weg war.“
„Beim ersten Verschwinden heute früh oder erst als du dich mit diesem Affentheater vorhin von deiner Dulcinea getrennt hast und dir
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