Snow Angel
das gerade? Oder stammt das von deinem Absturz? Man hört ja die wüstesten Geschichten!“
„Ach je, Antonio! Nadine hat das Ganze so aufgeblasen. Nicht mal die Hälfte davon ist wahr. Du siehst, es geht mir gut.“
„Gut genug, um heute Abend ein bisschen mit mir tanzen zu gehen?“
Er ist wirklich der charmanteste Junge der ganzen Schule und normalerweise hätte Nina ihm gewiss diese Bitte nicht abgeschlagen. Heute hat er sie aber definitiv auf dem falschen Fuß erwischt für seine allererste Einladung, die er sich wahrscheinlich schon lange vorgenommen hatte.
„Du, ich bin mit Jenny verabredet“, sagt sie ausweichend. „Ich weiß noch nicht.“
„Wenn du es dir doch noch überlegen solltest: Ich werde da sein und warte auf dich, Nina!“
Sein Lächeln ist umwerfend.
„Ich überleg' s mir noch“, sagt sie, umarmt ihn kurz und geht.
15. Kapitel
Es ist fast Mittag, als Simon zu sich kommt.
Ben springt ihm auf die volle Blase. Eine äußerst wirkungsvolle Methode, Herrchen klar zu machen, welches Problem ihn selbst quält.
„Oh, Hund, mein Schädel! Warte, ich lasse dich in den Garten.“
Die Treppe nach unten ist ihm noch nie so steil vorgekommen, der Weg zur Terrassentür noch nie so verschlungen. Irgendwie kommen die Wände immer näher, scheinen wieder weit weg zu weichen. Der Boden schwankt, wie auf einem Schiff bei enormem Seegang. Mühsam versucht er, sich aufrecht zu halten.
Absoluter Filmriss! Er hat keine Ahnung, wie er in sein eigenes Bett gekommen ist.
Nur ein paar Erinnerungsfetzen vom Vorabend sind noch übrig. Fakt ist wohl, dass Hubert ihn abgefüllt hat bis zur Oberkante Unterlippe.
Ein Alka Seltzer muss her.
Während Simon tut, was der Hund im Garten erledigt, und sich fragt, wie viele Fass Bier es wohl gewesen sein mögen, die der Freund ihm eingetrichtert hat, läuft der Kaffee in der Maschine durch.
Ein Blick in den Spiegel lässt ihn den Kopf schütteln. „Ich kenn dich nicht, aber ich wasch dich trotzdem“, sagt er sehr undeutlich und kopfschüttelnd zu dem Bild des Unbekannten, der seine Zahnbürste im Mund hat. Ein paar Minuten lang lässt er sich kaltes Wasser über den Kopf laufen. Es stellt sich als nützlich heraus, sich bei der Gelegenheit möglichst wenig zu bewegen und solide am Waschbecken festzuklammern. So ist der Schwindel halbwegs in Grenzen zu halten.
Eine halbe Flasche Mineralwasser und ein paar Zink- und Magnesiumtabletten lindern die scheußlichsten Symptome des alkoholbedingten Flüssigkeitsentzuges. Der Kaffee mit der ganzen, ausgepressten Zitrone tut ein Übriges, schmeckt allerdings widerlich. Die Kopfschmerztablette stellt nach einer halben Stunde ein ungefähr fünfzigprozentiges Gleichgewicht wieder her.
Nach dem Frühstück und einer ausgiebigen Dusche ist Simon so weit klar, dass er über die vergangenen Tage nachdenken kann. Den Abend im „Hirschen“, so scheint es ihm, sollte er wohl besser zu den Akten packen. Vielleicht wäre es gut, Hubert zu fragen, ob er sich da überhaupt noch jemals wieder blicken lassen kann.
Was ihm aber deutlich im Gedächtnis geblieben ist, sind seine Ausführungen zu Lauras Verschwinden. Er hat recht mit der Überlegung, dass es höchst unwahrscheinlich ist, sie lebend wiederzufinden. Eine Entführung, so viel ist logisch, hätte höchstwahrscheinlich zu Lösegeldforderungen geführt. Es hat keine gegeben. Sehr wohlhabend ist ihre Familie sowieso nicht. Ziemlich gut situiert, ja, aber eben nicht reich. Dass diese Überlegung also im Grunde auszuschließen ist, hat Hubert ganz eingängig dargelegt.
Die Idee, sie hätte sich, ohne ein Wort zu sagen und ohne Nachricht, davongemacht, ist dummes Zeug. Es hatte nicht den winzigsten Anlass, keine Streitereien, keine Missstimmungen gegeben.
Simon tut sich nach wie vor schwer damit, den einzig wirklich wahrscheinlichen Schluss zuzulassen. Allerdings hat Hubert etwas sehr Bedenkenswertes gesagt. Und darauf, daran kann er sich bestens erinnern, ist er den ganzen Abend in der Dorfkneipe herumgeritten.
„Was hätte Laura dir für die Zukunft gewünscht? Was hätte sie dir geraten?“
Simon ist sich im Klaren darüber, dass es genau die Fragen sind, die er sich selbst beantworten muss. Lange genug hat er jeden Gedanken daran wegschieben dürfen. Während des ersten Jahres nach Lauras Verschwinden hatte ihn niemand gedrängt. Er sich selbst am allerwenigsten.
Auch Lizzy hat nie konkrete Forderungen an ihn
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