Snow Angel
mir kriegt ihr gar nichts mehr raus, wenn ich nicht endlich 'n Bier bekomme“, bekundet er.
Cornelia überlegt kurz, welche Dienstanweisungen sie brechen muss, um ihn für sich einzunehmen, und rechnet gegen das zu erwartende Entgegenkommen auf.
„Lass ihm ein Bier holen, Frederic!“
„Vergiss es!“
„Muss ich 'bitte' sagen?“, entgegnet sie scharf und wirft Schürle einen Blick zu, der erneut die Verteilung der Rollen besiegelt. Er versteht.
„Na, wenigstens kann man mit Ihnen vernünftig reden, Frau Kommissarin“, schleimt Westphal und lässt sein schönstes zahnloses Lächeln sehen.
Cornelia weiß, dass sich das Zugeständnis lohnen wird. Sie nutzt die Zeit, die ihr bleibt. Die Zeit, in der er in freudiger Erwartung gesprächsbereit sein wird. Dass die ganze Sache schnell kippen kann, sobald der Alte seinen Alkoholpegel auf Normal gebracht hat, weiß sie sehr gut einzuschätzen.
„Herr Westphal, wir mussten leider feststellen, dass Sie uns heute früh ein Märchen erzählt haben“, beginnt sie.
„Habe kein Märchen erzählt!“, versucht er es lahm.
„Doch, das haben Sie! Ich möchte jetzt endlich die Wahrheit über die Vorgänge am 25. August hören. Sie haben keinen Streit beobachtet, nicht wahr?“
Ehe er antworten kann, klopft es an der Tür. Cornelia flucht innerlich. Das Bier kann sie jetzt noch nicht gebrauchen. Sie ist erleichtert, dass es nur ein paar Blatt Papier sind, die hereingereicht werden. Sie überfliegt kurz den Inhalt und fühlt sich sofort erheblich sicherer in ihren Plänen zur Vorgehensweise. Sie gibt die Ergebnisse der Ballistik an Frederic weiter, ehe sie fortfährt.
„Herr Westphal, die Schüsse, die Sie an diesem Tag gehört haben, sind die nicht womöglich aus Ihrer eigenen Waffe gekommen?“
Heftig schüttelt der Alte den gesenkten Kopf. Es entgeht Cornelia nicht, dass Schweißperlen auf seiner Stirn sichtbar werden.
„Ich habe hier den Abgleich des Projektils, das im Hochsitz von Doktor Magnussen gefunden worden ist, mit ihrer Kaliber 22. Und ich habe den Abgleich mit dem Geschoss, das man dem Tierarzt aus seinem Knie operiert hat. Beides sichergestellt am 25. August und beides übereinstimmend. Können Sie mir erklären, wie das passiert sein kann?“
Wieder schüttelt er den Kopf.
„Herr Westphal, es ist Anzeige gegen Sie erstattet worden. Sie sind erkannt worden. Und wir haben die unverrückbaren Beweise. Warum haben Sie auf Doktor Magnussen geschossen? Was ist passiert an diesem Tag? Wovor hatten Sie Angst? Nur die Wilderei oder war da noch etwas?“, fragt Cornelia mit sanfter Stimme. Sie merkt, wie mürbe der Mann ist. Sie darf jetzt keine Fehler machen. Eine Aussage, unter Entzug herausgepresst, wird ihr vor Gericht jeder halbwegs findige Anwalt in der Luft zerreißen. Cornelia atmet erleichtert auf, als es klopft und die Bierflasche und ein Glas gebracht werden. Sie schenkt es ihm halb voll. Westphal trinkt in einem gierigen Zug. Schnell entspannen sich seine Gesichtszüge.
„Ich glaube, ich habe was gut bei Ihnen, nicht?“, fragt sie ihn freundlich. „Wäre es nicht eine schöne Idee, endlich reinen Tisch zu machen?“
Der Alte schielt nach der Flasche. Cornelia Sänger schüttelt den Kopf.
„Nicht so schnell! Erzählen Sie mir erst ein bisschen was.“
Westphal starrt vor sich hin und Frederic greift ein.
„Wir hatten doch heute früh über das Schmuckstück gesprochen, das Sie angeblich im Wald gefunden haben wollen. Und das steckte in Ihrer Wachsjacke. Wissen Sie, was wir an Ihrer Jacke gefunden haben?“
Der Mann zuckt zusammen. Er scheint auf dem Stuhl zu einem kleinen Häufchen zu schrumpeln.
„Was haben Sie denn gefunden?“ Die Stimme ist wesentlich weniger siegessicher, als die beiden Kommissare es von ihm gewohnt sind.
„Blut, Herr Westphal. Menschliches Blut!“
Den Effekt dieser Mitteilung möchte Cornelia gern etwas wirken lassen. Sie macht eine Pause, bevor sie weiterspricht und beobachtet den Mann sehr genau. Die Erfahrung sagt ihr, dass sie auf dem richtigen Weg ist. „Und ich weise Sie sehr gerne noch einmal darauf hin, dass wir Ihnen sofort einen Anwalt besorgen können. Allerdings würde ich mich auch sehr freuen, wenn Sie mir freiwillig etwas erzählen, was Ihre Position vor Gericht deutlich verbessern könnte. Noch haben Sie die Möglichkeit dazu.“
Er sagt nichts, verkriecht sich immer weiter hinter dem leeren Glas, scheint abzuwägen.
„Noch einen Schluck,
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