Snow Angel
eine halbwegs fitte Frau über zweieinhalb Jahre in seiner Gewalt zu halten.“
„Glaubst du? Das haben schon ganz andere Typen hingekriegt. Ich denke nicht, dass das allein eine Frage von körperlicher Überlegenheit ist.“
Hilflos zuckt Nina mit den Schultern. „Du hast ja recht. Aber immerhin sagt mir mein Bauch, dass ihm so was einfach nicht zuzutrauen ist.“
Simon stöhnt auf. „Dein Bauch sagt dir das?“
„Ja.“
„Ich fasse es nicht!“
„Was soll ich sagen, Simon? Es wäre ein Wunder, wenn man sie lebendig fände. Ein wirklich wunderbares Wunder! Aber eigentlich konnte ich mich bisher immer auf mein Bauchgefühl verlassen. Und das sagt mir eben, dass der Westphal nicht der Mann dafür ist, eine solche Sache über mehr als zwei Jahre durchzuziehen.“
*
Eine ganze Weile sitzen sie schweigend nebeneinander. Simon bemüht sich, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Ganz hinten in seinem Kopf beginnt eine Stimme damit, ihm gebetsmühlenartig zu sagen: „Glaub ihr. Sie hat recht.“ Und er erinnert sich plötzlich, dass er ihr vor weniger als vierundzwanzig Stunden eine ganz ähnliche Begründung zu seiner Entscheidung für sie geliefert hat. Nina hatte ganz offenbar nicht einen Moment lang an der Wahrhaftigkeit gezweifelt. Letztlich beruhigt es ihn, sich auf diese Überlegungen einzulassen, und ein Lächeln erscheint auf seinen Zügen. „Männer haben auch Bauchgefühl!“, sagt er.
„Manche! Oder anders ausgedrückt: Immer so, wie‘s grad passt, nicht? Es sind deine eigenen Argumente, Simon. Und mich haben sie gestern Abend überzeugt. Das sollten sie doch auch, oder?“
„Mannomann, die Elefantendame ist wieder da, ja?“
„Man hat mir beigebracht, andere Menschen ernst zu nehmen“, sagt sie mit einem Lächeln, das in ihm den dringenden Verdacht aufkommen lässt, einen Punkt an sie abgeben zu müssen. Simon merkt, dass er an dieser Stelle besser nicht weiter diskutieren sollte. „Ich sehe schon, es ist wieder Geisterstunde. Anscheinend muss ich mal wieder auf die Jagd gehen.“
„Mach doch“, erwidert sie und sieht ihn provokant an.
Der Jeep ist gerade in den Hof gerollt und er ist nicht wenig geneigt, diesen kleinen herausfordernden Geist jetzt wirklich zur Strecke zu bringen. Nina hat aber offenbar noch etwas anderes vor.
„Zeigst du mir dein Haus? Gestern war es ja schon total dunkel. Jetzt sehen wir wenigstens noch ein bisschen was.“
Die Bitte kann er ihr schlecht abschlagen, obwohl ihm durchaus andere Ideen im Kopf herumschwirren. Sie stehen im Hof und er erklärt ihr geduldig die Architektur des ungewöhnlichen alten Gemäuers. Eine Ecke des fast quadratischen Baus wird von einem wuchtigen Turm getragen, der dem Haus das Aussehen einer Festung gibt. Natursteine bilden das solide wirkende Fundament. Darüber erheben sich die kunstvoll ausgemauerten Fachwerkwände.
„Es ist ziemlich protzig“, befindet Nina kritisch.
„Ja, ist es. Aber es ist halt seit fast dreihundert Jahren im Familienbesitz. Außerdem hat es ein bisschen Garten drumrum. Den musst du dir mal ansehen, wenn die Sonne scheint. Als meine Großeltern noch da waren, tobte hier immer das Leben. Die ganze Familie hat ihre Kinder in den Ferien abgeliefert. Wir hatten schöne Sommer hier. Und ich finde es praktisch, dass ich es nach dem Umbau zum Arbeiten und Wohnen nutzen kann.“
„Es ist zu groß für dich alleine“, stellt sie fest, „und es muss Unmengen Geld verschlingen, den Kasten zu heizen.“
„Hast du bei mir jemals gefroren?“
Nachdenklich schüttelt sie den Kopf. „Nein, nur in der Nacht, als ich dachte, es würde nichts mehr werden mit uns. Aber das hatte rein gar nichts mit den Raumtemperaturen zu tun.“
Simons Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Er nimmt sie in die Arme und sieht ihr direkt in die Augen.
„Erinnere mich bloß nicht daran! Ich war so ein Idiot! Wenn ich dir jetzt verspreche, dich nie wieder frieren zu lassen, kannst du dir dann vorstellen, den alten Kasten mit mir zu teilen?“
„Ich habe kalte Füße! Ich weiß wirklich nicht, ob ich dir trauen kann“, sagt sie mit einem spitzbübischen Lächeln.
Nina will offenbar die alten schwarzen Wolken jetzt nicht mehr zwischen ihnen sehen. „Du tätest also gut daran, mir schnell einen Beweis deiner Glaubwürdigkeit zu liefern.“
Simon merkt sehr genau, dass sie ihn jetzt nicht ins emotionale Messer laufen lassen will, und ist ihr dankbar für das Umschalten zu
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