Snow Crash
durch den Strom von Sinneseindrücken bestimmt, die über diesen Rahmen hinweggehen. Daher ist das Studium der Evolution der Sprache das Studium der Evolution des menschlichen Geistes selbst.«
»Okay, ich verstehe, was das bedeutet. Und was ist mit den Universalisten?«
»Im Gegensatz zu den Relativisten, die der Meinung sind, daà Sprachen nichts miteinander gemein haben müssen, glauben die Universalisten, daà man bei allen Sprachen gemeinsame Grundzüge finden wird, wenn man sie nur lange genug analysiert. Daher analysieren sie Sprachen und suchen nach solchen Grundzügen.«
»Haben sie schon welche gefunden?«
»Nein. Es scheint für jede Regel eine Ausnahme zu geben.«
»Womit der Universalismus vom Tisch wäre.«
»Nicht unbedingt. Sie erklären das Problem damit, daà die Gemeinsamkeiten zu tief verborgen und damit nicht analysierbar sind.«
»Was eine Ausrede ist.«
»Ihre Erklärung ist, daà sich Sprache von einem bestimmten Niveau an im menschlichen Gehirn abspielen muÃ. Und da alle menschlichen Gehirne mehr oder weniger gleich sind...«
»Die Hardware ist dieselbe. Nicht die Software.«
»Sie benutzen eine Metapher, die ich nicht verstehen kann.«
Hiro rast an einem groÃen Airstream vorbei, der in dem gefährlichen Wind, welcher das Tal herunterweht, von einer Seite auf die andere schaukelt.
»Nun, am Anfang ist das Gehirn eines Franzosen genau wie das eines Engländers. Wenn sie aufwachen, werden sie mit unterschiedlicher Software programmiert â sie lernen verschiedene Sprachen.«
»Ja. Laut den Universalisten müssen Französisch und Englisch
â überhaupt jede Sprache â daher gewisse Gemeinsamkeiten haben, deren Wurzel in den >Tiefenstrukturen< des menschlichen Gehirns liegen. Chomskys Theorie zufolge sind diese Tiefenstrukturen angeborene Komponenten des Gehirns, die ihm ermöglichen, bestimmte formelle Operationen mittels Ketten von Symbolen auszuführen. Oder, wie Steiner Emmon Bach zitiert: Diese Tiefenstrukturen führen schlieÃlich einmal zum tatsächlichen Muster des Kortex mit seinem auÃerordentlich verzweigten und doch gleichzeitig >programmierten< Netzwerk elektrochemischer und neurophysiologischer Kanäle.«
»Aber diese Tiefenstrukturen sind so tief, daà wir sie nicht einmal sehen können?«
»Die Universalisten vermuten die aktiven Module des linguistischen Lebens â die Tiefenstrukturen â so tief, daà sie sich einer Beobachtung und Beschreibung entziehen. Oder um Steiners Vergleich zu verwenden: Wenn man versucht, ein Geschöpf aus der Tiefsee emporzuziehen, wird es zerfallen oder seine Gestalt auf groteske Weise verändern.«
»Schon wieder eine Schlange. Und an welche Theorie glaubte Lagos? War er Relativist oder Universalist?«
»Er schien nicht zu glauben, daà dazwischen groÃe Unterschiede bestehen. Letzten Endes sind beide ein wenig mystisch angehaucht. Lagos glaubte, daà beide Schulen mit unterschiedlichen Begründungen praktisch zum selben Ergebnis gekommen waren.«
»Aber mir scheint, als gäbe es hier einen entscheidenden Unterschied«, sagt Hiro. »Die Universalisten denken, daà wir durch die vorgefertigten Strukturen unseres Gehirns determiniert werden â den Mustern im Kortex. Die Relativisten glauben nicht, daà wir irgendwelche Grenzen haben.«
»Lagos modifizierte die strenge Theorie Chomskys, indem er annahm, daà eine Sprache zu lernen so ist, als würde man Codes in PROMs blasen â eine Analogie, die ich nicht interpretieren kann.«
»Die Analogie ist völlig klar. PROMs sind programmierbare Read-Only Memory Chips«, sagt Hiro. »Wenn sie aus der
Fabrik kommen, haben sie keinen Inhalt. Man kann einmal und nur einmal Informationen auf diesen Chips plazieren und einfrieren â die Information, die Software, wird in den Chip eingefroren -, sie verwandelt sich in Hardware. Wenn man die Programmierung in die PROMs geblasen hat, kann man sie wieder lesen, aber nicht mehr verändern. Lagos wollte damit sagen, daà das neugeborene menschliche Gehirn keine Struktur besitzt â wie die Relativisten sagen würden -, und wenn das Kind eine Sprache lernt, strukturiert sich das Gehirn beim Entwickeln entsprechend, die Sprache wird in die Hardware >geblasen< und wird zum festen Bestandteil der Tiefenstruktur des Gehirns â wie die
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