Snow Crash
Hafengebiet geht, sieht er nicht gerade viel: nur weitere chinesische Flüchtis in weiten Hosen. Aber manche sehen wachsamer aus als andere. Sie legen ein vollkommen anderes Benehmen an den Tag. Die meisten Chinesen halten den Blick auf den Lehm unter ihren FüÃen gerichtet und sind mit den Gedanken woanders. Manche dagegen schlendern einfach
die StraÃe rauf und runter, sehen sich wachsam um, und zufälligerweise sind das überwiegend junge Männer in ausgebeulten Jacken. Und mit Frisuren, die einem völlig anderen modischen Universum entstammen als das, was die anderen zur Schau stellen. Man kann sogar Pomade erkennen.
Der Eingang zum Pier der Reichen ist mit Sandsäcken und Stacheldraht gesichert und bewacht. Hiro geht langsam darauf zu, zeigt seine Hände deutlich und läÃt den Wachmann, den einzigen WeiÃen, den Hiro bis jetzt in Port Sherman getroffen hat, seinen Ausweis sehen.
Und damit kommt er auf den Pier. Einfach so. Wie in der Hongkong-Franchiseverwaltung, ist es auch hier menschenleer, kühl und stinkt nicht. Er hebt und senkt sich sanft im Ryhthmus der Wellen, und irgendwie findet Hiro das beruhigend. Im Grunde genommen handelt es sich nur um eine Kette von FlöÃen, Plankenplattformen auf schwimmenden Styroporballen, und wenn er nicht bewacht wäre, würden sie ihn wahrscheinlich einfach abmontieren und zum Floà hinausschleppen.
Im Gegensatz zu einem normalen Jachthafen ist es hier allerdings alles andere als ruhig und isoliert. Normalerweise legen die Leute mit ihren Booten an, sperren sie ab und gehen. Hier hängt mindestens eine Person auf jedem Boot herum, trinkt Kaffee und läÃt die Waffe deutlich sichtbar liegen; alle beobachten Hiro eingehend, wie er den Pier entlangschreitet. Alle paar Sekunden donnern Schritte auf dem Pier, und einer oder zwei Russen laufen an Hiro vorbei zur Kodiak Queen. Es sind alles junge Männer, alle sehen wie Seeleute oder Soldaten aus, und sie stürzen sich auf die Kodiak Queen, als wäre sie das letzte Schiff aus der Hölle, wo sie von Offizieren angeschrien werden, zu ihren Stationen laufen und hektisch ihren Seemannsaufgaben nachgehen.
Auf der Kowloon geht es wesentlich ruhiger zu. Auch sie ist bewacht, aber die meisten Leute scheinen Kellner und Stewards zu sein, die schicke Uniformen mit Messingknöpfen und weiÃen Handschuhen tragen. Uniformen, die drinnen getragen werden wollen, in angenehmen, klimatisierten Speisesälen. Ab und zu kann man einige Mannschaftsmitglieder sehen, pomadisiertes
Haar, schwarze Windjacken, die sie vor Gischt und Wetter schützen sollen. Hiro kann nur einen Menschen auf der Kow loon erkennen, bei dem es sich um einen Passagier zu handeln scheint: ein groÃer, schlanker WeiÃer im dunklen Anzug, der herumläuft und in ein tragbares Telefon spricht. Wahrscheinlich ein Wichser von einem Industriellen, der eine Tageskreuzfahrt machen und sich die Flüchtis auf dem Floà ansehen will, während er in seinem Speisesaal sitzt und ein Gourmetdinner verspeist.
Hiro hat den halben Pier hinter sich gebracht, als am Ufer vor dem Spectrum 2000 die Hölle losbricht. Es fängt mit einer Salve Maschinengewehrfeuer an, die keinen groÃen Schaden anzurichten scheint, aber die StraÃe ziemlich schnell leerfegt. Neunundneunzig Prozent der Flüchtis lösen sich einfach in Luft auf. Die anderen, die jungen Männer, die Hiro aufgefallen sind, ziehen interessante High-Tech-Waffen aus den Jacken und verschwinden in Torbögen und Häusern. Hiro legt einen Zahn zu, geht rückwärts den Pier entlang und versucht, einige der gröÃeren Schiffe zwischen sich und das Geschehen zu bringen, damit er nicht von einer verirrten Kugel getroffen wird.
Eine frische Brise weht vom Wasser den Pier hinunter. Als er an der Kowloon vorbeikommt, trägt sie den Geruch von gebratenem Speck und Kaffee mit sich, und Hiro muà unwillkürlich über die Tatsache meditieren, daà seine letzte Mahlzeit aus einem halben Glas billigen Biers in einer Kelleyâs-Tap-Kneipe in einem Snooze ânâ Cruise gewesen ist.
Die Szenerie vor dem Spectrum 2000 hat sich in ein allgemeines Tohuwabohu von unvorstellbar lautem weiÃem Rauschen verwandelt, da sämtliche Leute innerhalb und auÃerhalb des Hotels mit ihren Waffen über die StraÃe hin und her ballern.
Etwas berührt ihn an der Schulter. Hiro dreht sich um, damit er es wegwischen kann, und sieht, daà es
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