Snow Crash
ist.
Mit anderen Worten, je mehr sich das Metaversum mit Hindernissen füllte, gegen die man prallen konnte, desto interessanter wurde es plötzlich, sich mit hoher Geschwindigkeit darin zu bewegen. Wendigkeit wurde ein Thema. GröÃe wurde ein Thema. Hiro und Da5id und die anderen wandten sich von den riesigen, bizarren Fahrzeugen ab, die sie zuerst bevorzugt hatten â viktorianische Villen auf Panzerketten, rollende Ozeanriesen, meilenweite kristalline Kugeln, von Drachen gezogene flammende Streitwagen â und beschränkten sich auf kleine, wendige Fahrzeuge, überwiegend Motorräder.
Ein Fahrzeug im Metaversum kann so schnell und behende wie ein Quark sein. Man muà sich den Kopf nicht wegen physikalischer Gesetze zerbrechen, es gibt keine Grenze für die Beschleunigung, keinen Luftwiderstand. Reifen quietschen nie und Bremsen blockieren nie. Nur gegen eines kann man nichts tun, die Reaktionszeit des Anwenders. Wenn sie mit ihrer neuesten Motorradsoftware bei Mach 1 durch die Innenstadt fegten, machten sie sich keine Gedanken um die Motorenleistung. Sie dachten an das Anwenderinterface, die Schnittstelle, die es dem Anwender ermöglichte, seine Reaktion auf die Maschine zu übertragen, zu lenken, zu beschleunigen, zu bremsen, und zwar so schnell, wie er denken konnte. Denn wenn man bei der Geschwindigkeit inmitten einer Motorradbande durch ein dichtbevölkertes Gebiet rast und gegen etwas prallt und blitzartig auf eine Geschwindigkeit von exakt null abgebremst wird, kann man vergessen, daà man die anderen je wieder einholen wird. Ein Fehler, und man ist drauÃen.
Hiro hatte ein ziemlich gutes Motorrad. Wahrscheinlich hätte er das beste auf der StraÃe haben können, weil seine Reflexe
überirdisch sind. Aber er hat sich mehr um Schwertkämpfe als um Motorradrennen gekümmert.
Er öffnet die jüngste Version seiner Motorradsoftware und macht sich wieder mit den Kontrollinstrumenten vertraut. Er steigt von Flächenland ins dreidimensionale Metaversum auf und fährt eine Zeitlang zur Ãbung mit seinem Motorrad im Hof herum. Jenseits der Grenzen seines Hofs liegt nur Schwärze, weil er nicht ins Netz eingeklinkt ist. Es ist ein hilfloses, einsames Gefühl, etwa so, als würde man in einem Rettungsboot auf dem Pazifik treiben.
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Manchmal sehen sie Boote in der Ferne. Einige kommen sogar näher und überprüfen sie, aber niemand scheint in Rettungslaune zu sein. Es gibt nur wenige Altruisten in der Umgebung des FloÃes, und es scheint offensichtlich zu sein, daà sie nichts zu stehlen haben.
Von Zeit zu Zeit sehen sie ein altes Hochseefischerboot, zwischen fünfzehn und dreiÃig Metern lang, um das sich ein halbes Dutzend kleinerer Boote scharen.
Als Eliot sie informiert, daà das Piratenschiffe sind, spitzen Vic und Fischauge die Ohren. Vic wickelt das Gewehr aus dem Wirrwarr von Plastiktüten aus, in denen er es vor der Salzwassergischt schützt, und nimmt das klobige Zielgerät ab, damit er es als Fernglas benutzen kann. Hiro sieht keinen Grund, das Gerät dafür von dem Gewehr abzunehmen, davon abgesehen, daà es andernfalls so aussehen würde, als zielte man auf jemanden.
Jedesmal, wenn ein Piratenschiff in Sichtweite kommt, sehen sie abwechselnd durch das Sichtgerät und spielen mit allen verschiedenen Sensorjustierungen: sichtbar, Infrarot und so weiter. Eliot hat so viel Zeit am Rand verbracht, daà er mit den Farben der verschiedenen Piratenbanden vertraut ist und sie identifizieren kann, wenn er durch das Visier sieht: Clint Eastwood und
seine Bande kreuzen an einem Tag ein paar Augenblicke parallel zu ihnen und suchen nach etwas Wertvollem, und die Glorreichen Sieben schicken eines ihrer kleinen Beiboote herüber, um nach Beute Ausschau zu halten. Hiro hofft fast, daà sie von den Sieben als Gefangene genommen werden, weil ihr Piratenschiff richtig anheimelnd aussieht: eine ehemalige Luxusjacht, auf deren Deck Exocet-Werfer befestigt sind. Aber all das führt zu nichts. Die Piraten, deren Bildung Thermodynamik nicht mit einschlieÃt, kapieren nicht, was die ewige Dampfwolke zu bedeuten hat, die unter dem Rettungsboot hervorquillt.
Eines Morgens taucht ein groÃer alter Trawler ganz in ihrer Nähe auf und scheint sich aus dem Nichts zu schälen, als der Nebel weicht. Hiro hat seinen Motor eine ganze Weile gehört, aber nicht gedacht, daà er schon so nahe ist.
»Wer ist das?«
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