Snuff: Roman (German Edition)
erzählen, wie die Museumswächter dort, wenn man sie höflich bittet, eine Schublade nach der anderen aufziehen und einem die darin aufbewahrten Reliquien zeigen. Carl zufolge liegen in einigen dieser Schubladen aus Marmor gemeißelte Schwänze. Penisse. Aus Alabaster, Onyx, Obsidian. Ordentlich aufgereiht, massenhaft antike Schwänze, von denen jeder Einzelne mittels eines Zahlenschlüssels einem kastrierten antiken Meisterwerk zugewiesen ist. Eine Sammlung von Hunderten nummerierter Schwänze, die irgendwann von griechischen, römischen, ägyptischen und byzantinischen Statuen abgeschlagen und durch Feigenblätter aus Gips ersetzt wurden.
Minoische Bronzeschwänze, abgehackt, klein wie Pistolenkugeln. Etruskische Terrakottaschwänze, die zu Staub zerfallen. Die Selbstgerechten wollen nicht, dass irgendjemand diese unschätzbar wertvollen Pimmel sieht, und doch sind sie immer noch zu bedeutsam, als dass man sie wegwerfen könnte.
Es ist dasselbe wie in Tausenden Nachttischen und Handschuhfächern, all diese Branch-Bacardi-Dildos und Cassie-Wright-Vaginas.
Ich könnte Bacardi erzählen, dass die ersten elektrisch betriebenen Vibratoren in den 1890er Jahren auf den Markt kamen. Die ersten elektrischen Haushaltsgeräte waren die Nähmaschine, der Ventilator und der Vibrator. Zehn Jahre, bevor es elektrische Staubsauger und Bügeleisen gab, benutzten die Amerikaner schon elektrische Vibratoren. Zwanzig Jahre bevor elektrische Bratpfannen auf den Markt gebracht wurden.
Zum Teufel mit der Hausarbeit, was wirklich zählt hat sich immer zwischen unseren Beinen befunden.
Die Assistentin geht mit einer Chipstüte voller blutiger Papierservietten von dem Schauspieler mit der aufgeplatzten Lippe an mir vorbei. Rotes Blut und orangegelbes Grillgewürz in weißes Papier geschmiert. Bei Branch Bacardi bleibt die junge Dame kurz stehen, und er wirft sein mit Nippelblut getränktes Klopapier in ihre Tüte.
Der Junge mit den Blumen, Schauspieler 72, beobachtet die junge Dame und sagt: »Die kann ich nicht ausstehen«, und seine Hände krallen sich krampfhaft um den durchsichtigen Plastiktrichter mit seinen Rosen drin. Seine Fäuste drücken fester und immer fester zu, bis die Dornen durchkommen.
Schauspieler 72 beobachtet die Assistentin und sagt: »Was wollen wir wetten, dass diese Schlampe jeden Brief, den irgendwer an Cassie Wright schickt, in den Müll wirft, egal, wie wichtig so ein Brief ist, und wie sehr der Schreiber sich danach sehnt, Cassie einfach mal nur zu sagen, wie viel sie ihm bedeutet?«
Wenn er rüberkommt, erzähle ich Bacardi von diesen Museumswächtern im Vatikan mit ihren verstaubten Schubladen voller unbezahlbarer, gesichtsloser, nummerierter Schwänze.
In seinem Amulett befindet sich etwas, das niemand sonst sehen kann, aber Branch Bacardi betrachtet es lange Zeit. Gemessen an den Filmen auf den Monitoren, betrachtet er sein Geheimnis einen Dreier... zwei Blowjobs... und einen klitoralen Orgasmus lang.
Und hab ich’s nicht gesagt, dann blickt Bacardi auf und sieht zu mir rüber. Und klappt das Amulett zu.
8
Sheila
Bei meiner ersten Vorbesprechung mit Ms. Wright fragte ich sie, was sie mir über eine römische Kaiserin namens Messalina sagen könne.
Unser Vorgespräch, unsere erste Begegnung unter vier Augen, fand in einer Kaffeebar statt; wir tranken Cappuccino und stießen uns die Knie an dem winzigen Marmortisch. Ms. Wright saß etwas verdreht und schaute ständig aus dem Fenster. Die Beine auf die Art übereinandergeschlagen, von der man angeblich Krampfadern kriegt. Ihre Augen folgten aber keinem, der draußen vorbeiging. Weder angeleinten Hunden noch Babys in Kinderwagen. Ohne mich anzusehen, fragte Ms. Wright, ob ich jemals von der Schauspielerin Norma Talmadge gehört habe?
Oder Vilma Bánky? John Gilbert? Karl Dane oder Emil Jannings?
Ihre falschen, mit Mascara noch größer gemachten Wimpern blinzelten nicht, als Ms. Wright erzählte, Norma Talmadge sei ein Stummfilmstar gewesen. Der größte Kassenschlager des Jahres 1923. Dreitausend Fanbriefe pro Woche. Und seit diese Norma 1927 vor Graumans Chinesischem Theater aus Versehen in ein noch feuchtes Stück Beton getreten sei, würden Filmstars überall ihre Hand- und Fußabdrücke hinterlassen.
Ein paar Jahre nach dieser Sache mit dem Beton fing Hollywood an, Tonfilme zu machen. Ein ganzes Jahr lang bekam sie Sprechunterricht, aber wenn Norma Talmadge den Mund aufmachte, kam immer noch bloß ein schrilles Quieken heraus. John
Weitere Kostenlose Bücher