Snuff: Roman (German Edition)
Geschichte, um mich zu verwirren. Denkt sich irgendeinen Grund aus, warum ich nicht einfach damit glücklich sein kann, wie ich bin. Hier in der Gegend gibt es keine Kinderschänder.
Aber er schüttelt nur den Kopf und sagt: »Keine Lüge.« Er sagt: »Ich wünsch, es wäre eine.«
Der Bus kommt immer noch nicht.
»Ganz ruhig, Mann«, sagt eine Stimme. Hier im Keller sagt Branch Bacardi: »Wenn du hier stirbst, wenn du einen Schlag oder einen Herzinfarkt kriegst, legen sie dich einfach auf den Rücken und lassen Cassie rückwärts auf deinem toten harten Schwanz reiten.«
Im Weggehen sagt er: »Heute geht es allein um die Zahl.«
Ich schnipse Schuppen vom Pullover der Assistentin und sage, es bestehe durchaus die schauderhafte Möglichkeit, dass ich mich von fünfzig oder mehr Männern habe in den Arsch ficken lassen, um zu beweisen, dass mein Vater unrecht hat …
Meine schlimmste Befürchtung ist die, dass ich das nur getan habe, um zu beweisen, dass mein Vater kein Perverser ist.
In der Sekunde, als der Bus am Horizont auftauchte, sagte mein Vater: »Du musst mir vertrauen.«
Ich sage, er lügt. Meine Knie etwas eingeknickt, so dass ich den Griff meines Koffers packen kann. Meine Beine fest auf dem Boden. Mein Mund sagt, mein Vater lügt, weil er aus mir einen Hetero machen will.
Der Bus wird mit jedem Wort größer.
Er sagt: »Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich dieser Jemand war?«
Der mich befummelt hat, als ich ein Baby war.
Meine andere Hand, die mit der Fahrkarte, zittert.
Der Bus ist fast da, und in diesen letzten Augenblicken unseres Gesprächs in Oklahoma sagt mein Vater: »Ich war es.«
Er war es, der mich befummelt hat.
Ich rede mit der Assistentin, zupfe Schuppen von ihrem Pullover und schiebe statt einer Pille aus Versehen eine Schuppe zwischen meine Lippen. Ihre tote Haut, speckig wie Fett oder Wachs. Ich spucke den Krümel aus.
Über uns auf den Monitoren reißt Cassie Wright ihre Science-Fiction-Nonnentracht in lange Streifen und flicht sie mit lachsrosa und gelben BHs und Stringtangas zu einem Strick zusammen, an dem sie aus dem Fenster klettern will.
Ich frage die Assistentin, ob ich ihr die Schuppen aus den Haaren zupfen darf.
Und sie zuckt die Schultern und sagt: »Nur die, die man sieht...«
In Oklahoma hält jetzt der Bus neben uns im flachen Zentrum unseres Bundesstaats, und mein Vater sagt: »Das war ein einmaliger Fehltritt, Junge.« Er sagt: »Also lass nicht zu, dass dich das dein ganzes Leben lang verfolgt.«
Die Luftbremsen zischen. Die Tür klappt auf. Ein, zwei, drei Schritte, und meine Füße stehen auf dem Trittbrett. Meine Hand hält die Fahrkarte, der Fahrer nimmt sie. Meine Lippen sagen: »Los Angeles.«
Mein Vater da unten ruft: »Schreib uns, wie versprochen.« Er sagt: »Lass dein Leben nicht von fremder Schuld bestimmen, Junge.«
Meine Ohren hören das.
Die Assistentin lässt Branch Bacardi nicht aus den Augen. Sie sieht nur weg, wenn er zu ihr hinsieht. Sie sagt: »Ja, Eltern machen immer alles kaputt...«
Meine Füße brachten mich durch den Bus bis ganz nach hinten. Mein Arsch setzte mich hin.
Mein Arsch hat viel geleistet seitdem.
Mein Arsch ist ein Filmstar.
Aber was soll ich sagen? Ich habe kein einziges Mal nach Hause geschrieben.
20
Sheila
1944, bei den Dreharbeiten zu Kismet , färbte sich Marlene Dietrich die Beine mit Kupferfarbe. Kupferbraune Farbe auf Bleibasis. Das Blei drang durch ihre Haut. Hat fast zu einer tödlichen Vergiftung geführt. Ms. Wright erzählt mir das, während ich das Wachs im Wasserbad umrühre.
Ms. Wright schält sich aus ihrem langärmeligen Top, aus ihren Jeans und Höschen. Nackt breitet sie ein Badehandtuch auf ihrem Küchentisch aus. Die kahlen Wände ihrer Zweizimmerwohnung sind voller Nagellöcher. Kein einziges Möbel, nur ein schmutziges weißes Sofa, das man zu einem Bett ausklappen kann. Zwei Küchenstühle aus Chrom, dazu ein Tisch. Ms. Wright legt ein zweites und ein drittes Handtuch ausgebreitet auf den Tisch. Und noch eins, bis die Handtücher ein dickes Polster ergeben.
Die Schränke sind leer. In ihrem Kühlschrank höchstens mal was in Alufolie Gewickeltes von dem Griechen im Erdgeschoss. Auf dem Spülkasten ihrer Toilette die letzte Rolle Klopapier.
Ms. Wright sitzt mit dem nackten Hintern auf der Kante des Küchentischs und sagt, die Schauspielerin Lucille Ball habe von kosmetischer Chirurgie nie etwas wissen wollen. Kein Lifting für Lucy. Stattdessen ließ sie die
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