So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
persönlicher Philosophielehrer, immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
In der Zeitschrift Les Temps Modernes hat er zusammen mit Sartre bereits Artikel veröffentlicht. Und ich, die ich mit vierzehn die Schule verlassen habe, hänge an seinen Lippen.
Das Bistro wird meine Universität!
Abends besuchen wir oft die Tanzlokale in Saint-Germain. Dieser Mann ist witzig, aufregend, ein guter Tänzer und sehr charmant.
Eines Abends schlägt er vor, zur Abwechslung mal ins Bal Nègre am Montparnasse zum Tanzen zu gehen.
Auf der Damentoilette wünscht mir eine hübsche Frau mit rotblondem Haar vergnügt einen guten Abend.
Es ist die Journalistin Anne-Marie Cazalis. Sie wird entscheidend mein Schicksal mitbestimmen.
Kaum sind wir wieder bei Merleau-Ponty, ruft ihm eine Stimme aus dem ersten Stock zu: »Merleau-Ponty! Kommt hoch zu uns!«
Es ist die Stimme von Jean-Paul Sartre.
Wir gehorchen und steigen die Treppe hoch. Merleau-Ponty macht uns bekannt: »Jacques-Laurent Bost, Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Gréco!«
Über den Begründer des Existenzialismus wird schon in den Zeitungen geschrieben, unter den Intellektuellen ist sein Name bereits bekannt. An diesem Tisch zu sitzen, ist ganz schön aufregend für mich, aber alle sind freundlich zu mir, und die gute Stimmung tut ihr Übriges.
Von diesem Tag an lädt mich Simone de Beauvoir zu ihren Abendgesellschaften ein, die ich aber nicht besuche; doch für einen speziellen Kosmos von Kultur und Wissen wird sie mir die Augen öffnen.
Diese herausragende Frau, Gymnasiallehrerin in Philosophie, verdient meine Bewunderung. Da sind ihre feinen Gesichtszüge, ihre nachdenklichen, wilden blauen Augen, die immer wachsam sind, und da ist ihre sehr seltsame hohe Stimme, die verstört.
Immer werde ich Respekt vor dieser Frau haben und ihr dankbar sein. Jedes ihrer Bücher lese ich, sobald es erscheint: Das andere Geschlecht, Sie kam und blieb, Das Blut der anderen, Die Mandarins von Paris …
Zwischen Anne-Marie Cazalis und mir entwickelt sich eine innige Freundschaft.
Sie sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch scharfsinnig und gebildet. Ihr Humor und ihre Schlagfertigkeit geben mir meine Lebensfreude zurück. Sie kennt so gut wie jeden in Saint-Germain und stellt mich Jean Cocteau, dem Regisseur Alexandre Astruc sowie vielen der mit ihr befreundeten Journalisten und Schriftsteller vor.
Unsere Komplizenschaft beflügelt uns beide. Die Welt der Einsamkeit, in der ich groß geworden bin und in der ich mich wohlgefühlt habe, lasse ich hinter mir und entdecke den Spaß am Meinungsaustausch, am Gespräch – und dass eine gewisse Leichtigkeit keineswegs schadet.
Es ist der Startschuss in ein neues Leben.
Der Dritte im Bunde ist Marc Doelnitz, ein Freund Anne-Maries. Der junge temperamentvolle Mann hat blonde Haare, nun ja, sie sind fast rot. »Es ist ein Blond, wie man es in Flandern findet«, klärt er seine Mitmenschen gerne auf.
Anne-Marie hat ihn 1942 bei einem Tanzkurs kennengelernt. Er hat gerade seinen Militärdienst beendet und will, wie wir alle, das Leben in vollen Zügen genießen.
Der Sohn eines Kunsthändlers ist in einem gebildeten, gut situierten Milieu aufgewachsen. Er träumte davon, der totale Künstler zu werden; einer, der sowohl tanzen als auch schauspielern kann. Aber wie den meisten Jugendlichen, so ging es auch ihm: Die Kriegserklärung bereitete seinem Traum zunächst einmal ein Ende. Jetzt fängt er wieder bei null an.
Anne-Marie, Marc und ich sind bald ein eingeschworenes Trio.
Wir treffen uns jeden Tag zur Mittagszeit im Flore und bestellen einen Kaffee und ein Croissant. Das reicht uns bis zum Nachmittag, vorausgesetzt, der Wirt spielt mit. Wir drei helfen einander, wo wir können. Ein paar Francs am Tag genügen uns.
Abends gehen wir in die Bar Vert, ein Café, in dem viele Intellektuelle die Probleme der Welt zu lösen versuchen. Wenn dann nach Mitternacht die Bar Vert ihr eisernes Gitter herunterlässt, ist als Nächstes Musik und Feiern angesagt.
Endlich gibt es wieder ein Nachtleben in Paris, und so strömen die jungen Leute in die Lokale, die keine Sperrstunde kennen; die Musikkneipen füllen sich.
Wir flanieren unter den Straßenlaternen; das Kellergewölbe vom Tabou in der Rue Dauphine ist unser nächstes Ziel. Dort trifft sich unsere ganze Clique. Die Entstehung dieses Klubs ist eine Geschichte für sich, an der ich nicht ganz unbeteiligt bin.
Le Tabou
Jeder neue Tag ist wie geschaffen dafür, die Befreiung zu
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