So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
das Tor zu seinem Gärtchen auf, und nach ein paar Schritten sind wir schon in seiner Küche.
Der Duft von Kaffee erfüllt den Raum, auf dem Tisch steht ein Teller mit Croissants. Prévert zeigt mir seine Arbeit, Collagen, die er auf einem Wandschirm befestigt. Mit großen Augen sehe ich ihm beim Arbeiten zu.
Das Glück, hier mit ihm zusammen zu sein, ist unbeschreiblich.
Es wird nicht mehr lange dauern, und ich werde »Les enfants qui s’aiment«, »À la belle étoile«, »La belle vie«, »Je suis comme je suis« und viele andere kleine Wunderwerke von ihm singen. Das letztgenannte Lied wird er ein bisschen umdichten, denn diese Zeilen wollten nicht über meine Lippen:
Mes talons sont trop hauts
Ma taille trop cambrée
Mes seins beaucoup trop durs
Et mes yeux trop cernés.
Meine Absätze sind zu hoch
Meine Taille zu schmal
Meine Brüste sind zu schwer
Und die Schatten unter den Augen zu tief.
Prévert akzeptierte meine Änderungsvorschläge:
Mes lèvres sont trop rouges
Mes dents trop bien rangées
Mon teint beaucoup trop clair
Mes cheveux trop foncés.
Meine Lippen sind zu rot
Meine Zähne viel zu schön
Meine Haut ist viel zu bleich
Viel zu dunkel ist mein Haar.
Hinter diesen Zeilen stehe ich, die kann ich singen!
Im Sommer darauf beschließen Anne-Marie und ich, wieder nach Antibes ans Meer zu fahren. Anet Badel hat mir einen Vertrag für die Sommermonate angeboten. Diesmal wohnen wir aber auf eigene Kosten im Hôtel Provençal. Wir nehmen uns ein kleines Zimmer unter dem Dach.
Jean-Paul Sartre und Michèle Vian sind auf der Durchreise, wir essen zusammen zu Abend. Vians Frau hat sich von ihrem Mann getrennt und ein Verhältnis mit dem Philosophen angefangen. Dieser Denker, den ich nur mit »Monsieur« anspreche, ist ein sehr lebenslustiges Wesen. Er vermag jeden Augenblick auszukosten, ohne dabei je in Trübsinn zu verfallen. Er ist neugierig und aufmerksam, er interessiert sich für seine Mitmenschen.
Sartre hat mir zwei Liedertexte mitgebracht: »Ne faites pas suer le marin«und »La perle de Passy«. Den handgeschriebenen Text des ersten Liedes vertraue ich dem Komponisten Jacques Besse an, der auch die Bühnenmusik zu Sartres Stück Die Fliegen geschrieben hat; den zweiten Pierre Philippe, dem Pianisten des Vokalquartetts Frères Jacques. Leider sind beide Lieder, warum auch immer, verloren gegangen.
Ein wenig später schreibt mir Jean-Paul Sartre zu meiner ersten großen Reise – sie geht nach Brasilien – einen sehr schönen Text:
»Die Gréco hat in ihrer Kehle Platz für Millionen: für Millionen von Liedern, die noch nicht geschrieben sind und von denen leider nur einige noch geschrieben werden. Man schreibt Theaterstücke nur für einen Schauspieler, warum nicht Gedichte nur für eine bestimmte Stimme? Der Schriftsteller, der nur Prosa schreibt, wird wegen ihr seine Wahl bedauern, er wird sich sogar Vorwürfe machen. Wer mit seiner Feder diese schwarzen unscheinbaren Zeichen aufs Papier malt, vergisst allzu schnell die sinnliche Qualität des Wortes. Die Stimme der Gréco erinnert ihn daran. Sie ist wie ein warmes weiches Licht, das mit seinem Funkenschlag die Flammen der Dichter entzünden kann. Nur wegen ihr und um zu sehen, wie sich meine Wörter in Edelsteine verwandeln, habe ich Lieder geschrieben. Es stimmt, sie singt sie nicht. Aber damit ich und die ganze Welt ihr danken können, genügt es, dass sie die Lieder der anderen singt.«
Diese Zeilen waren wie ein Pass für mich. Mit ihnen hatte ich überall Zutritt.
Mein ganzes Leben lang.
Wunderbare Begegnungen
Miles
Im Frühjahr 1949 berichtet der Gelegenheitsjournalist und Jazzkenner Boris Vian für die Tageszeitung Combat und die Monatszeitschrift Jazz News von dem musikalischen Ereignis in Paris, dem internationalen Jazzfestival.
Michèle Vian, die genauso jazzbegeistert ist wie ihr Mann, schlägt mir vor, sie zum Saal Pleyel zu begleiten; dort finden die ersten Konzerte statt.
Die beliebtesten amerikanischen Musiker der Nachkriegszeit stehen auf dem Programm: Charlie Parker, Sidney Bechet, Tadd Dameron mit seinem Quintett – und Miles Davis.
Weil wir keine Karten mehr bekommen hatten, sah ich ihn zum ersten Mal nur von der Seite in den Kulissen. Miles ähnelte einer ägyptischen Statuette, die Trompete spielt. Vollkommen erhaben. Er schien eine Klammer zu sein, die sich öffnet und schließt. Sein Gesicht war von einer außergewöhnlichen Schönheit. Es schien wie in Marmor gemeißelt. Ich war
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