So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
hochbegabten Pianisten und Komponisten Martial Solal, den Gitarristen Sacha Distel, Pierre Michelot mit seinem Kontrabass, die Brüder Raymond und Hubert Fol am Altsaxofon, Kenny Clarke am Schlagzeug, Coleman Hawkins und Don Byas am Tenorsaxofon, Benny Vasseur an der Posaune und natürlich den Pianisten René Urtreger.
Zu dieser Zeit betreten auch die amerikanischen Jazzmusiker Pariser Boden. Man lauscht Charlie Parker, Max Roach, Duke Ellington, dem Modern Jazz Quartett und Miles Davis …
Leben, um zu singen
Singen
Frühjahr 1949.
Nach einem Abendessen im Restaurant La Cloche d’Or auf dem Montmartre, zu dem Jean-Paul Sartre ein paar Freunde eingeladen hatte, marschieren wir – ich gehörte auch zu den Eingeladenen – die gepflasterten Straßen hinunter. Vor mir sind Anne-Marie und Sartre in ein Gespräch vertieft. Plötzlich dreht sich der Philosoph um und fragt mich: »Gréco, wollen Sie nicht singen?«
»Nein, das habe ich nicht vor«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen.
Diese prompte Absage macht ihn neugierig, und er setzt seine Befragung fort.
»Warum dieses Nein?«
»Ich kann nicht singen, und die Lieder, die sie im Radio spielen, gefallen mir nicht.«
»Und welche Lieder gefallen Ihnen?«
»Die, die Agnès Capri und Cora Vaucaire singen.«
»Dann kommen Sie morgen früh um neun zu mir.«
Maßlos eingeschüchtert, aber ebenso neugierig und aufgeregt, brauche ich am nächsten Morgen keinen Wecker, um in aller Früh aus dem Bett zu kommen.
Überall liegen Blätter auf seinem Schreibtisch verstreut. Jean-Paul Sartre scheint schon gearbeitet zu haben. Rechts von sich hat er einen Stapel Bücher aufgebaut, in dem kleine weiße Zettel stecken. Die wiederum weisen den Weg zu den Gedichten, die er für mich ausgesucht hat.
Wie selbstverständlich vertraut er mir seinen Stapel an; ich soll eine Auswahl treffen und ihm dann die Bücher wieder zurückbringen. Ohne weitere Worte zu verlieren, mache ich mich an die Arbeit.
Den ganzen Tag lese ich die Gedichte, wieder und wieder.
Am nächsten Morgen bin ich zur gleichen Uhrzeit, am selben Ort wieder zur Stelle. Ich habe mich für »Si tu t’imagines« von Raymond Queneau und »L’Éternel Féminin« von Jules Laforgues entschieden.
»Nun«, sagt der Philosoph, »das ist eine gute Wahl. Castor zitiert den Text in dem Buch, das sie gerade schreibt.« Und er fügt hinzu: »Ich werde Ihnen ein Geschenk machen. Ich gebe Ihnen ein Chanson, das ich für mein Theaterstück Geschlossene Gesellschaft geschrieben habe: ›La rue des Blancs-Manteaux‹. Ich habe auch eine Musik dazu komponiert, aber die gefällt mir nicht.«
Bis dahin wusste ich nicht, dass Sartre auch ein exzellenter Musiker ist.
»Was ist Ihr Lieblingslied?«, fragt er mich.
»›Les feuilles mortes‹gefällt mir sehr.«
»Das hat Joseph Kosma komponiert. Wir werden ihn fragen«, beschließt er.
Nichts leichter als das.
Drei Tage später haben Anne-Marie und ich einen Termin bei ihm zu Hause. Sofort setzt er sich ans Klavier und spielt die Melodie, die er letzte Nacht geschrieben hat. Anne-Marie und Kosma sprechen mir Mut zu, ich soll den Text dazu singen.
Ihr Ansporn lässt mir keine Wahl: Ein Ton entweicht meinen Lippen, und leise beginne ich zu singen, ungelenk und unbeholfen.
Nach dieser erzwungenen und fragwürdigen Gesangsdarbietung überfällt mich das unwiderstehliche Verlangen, es in Zukunft mit dem Singen zu probieren.
Anne-Marie und ich sehen uns an und lächeln. Sie ist zufrieden, und mir jagt mein Entschluss Angst ein.
Am Abend lasse ich mich in meinem Zimmer aufs Bett plumpsen. Mir schwirren die Bilder des Tages durch den Kopf, und ich bin glücklich, dass ich den Text meines ersten Liedes, »Si tu t’imagines« von Raymond Queneau, fast ganz auswendig kann. Ich falle sofort in Tiefschlaf.
Si tu t’imagines
Fillette fillette
Si tu t’imagines
Xa va xa va xa
Va durer toujours
La saison des za
La saison des za
Saison des amours
Ce que tu te goures
Fillette fillette
Natürlich willst du
Mein kleines Mädchen
Natürlich willst du
Dass Dass Dass
Sie nie aufhört
Die Zeit
Die Zeit
Die Zeit der Liebe
Doch da vertust du dich
Mein kleines Mädchen
Drei Lieder habe ich in meinem Repertoire und große Lust, der Welt zu beweisen, dass ich etwas anderes bin als ein Schwarz-Weiß-Foto auf Glanzpapier.
Ein neues Abenteuer lockt. Ich bin stolz, vor einem Publikum von zwei Personen gesungen zu haben. Als Sängerin kann ich mein Bestes geben. Daran
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