So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
oder einen Bruder gewünscht, hätte ich ihr diesen Wunsch wahrscheinlich sogar erfüllt. Aber sie sprach als Kind nie davon.
»Ich hätte das Kleine aus dem Fenster geworfen!«, vertraute sie mir als Erwachsene an und lachte.
Laurence-Marie war ein sehr schönes Baby. Wie gern ich ihre wundervollen Händchen streichelte. Als ich im Winter 1954 dieses kleine Wunderding zur Welt brachte, hätte es mich beinahe das Leben gekostet.
Frei – für alle Zeiten
Wen ich liebte und wann ich liebte, es war immer meine Entscheidung.
Meine Mutter war mit Frauen und Männern zusammen, was mich weder störte noch etwas anging. Was mich störte und etwas anging: Sie war eine Mutter, die ihre Tochter nicht liebte.
Ich überstand den Krieg und ging allein durchs Leben, ohne mich um Konventionen und Benimmregeln zu kümmern. Ich weiß nicht, wozu sie gut sind.
Ich wurde katholisch erzogen. Man lehrte mich die Achtung vor dem Mitmenschen, wie man anständig mit ihm umgeht und wie schön es ist, mit ihm etwas zu teilen.
Dann musste ich allein zurechtkommen. Ich habe dafür gekämpft, meine Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Manchmal gelang es mir.
Nach dem Krieg war ich das Sinnbild für eine Jugend, die ihre eigene Moral, ihre eigenen Gesetze, ihre eigenen Tabuzonen hatte.
Ich habe für die Gleichheit der Geschlechter und die Unabhängigkeit der Frau gekämpft. Endlich hörte man uns zu, uns, die wir erst hundert Jahre nach dem Mann das Wahlrecht erhalten hatten.
Ich kämpfe weiter, denn wir haben noch nicht gewonnen. Ich bemerke, wie aus dem Hinterhalt eine Mattigkeit sich unserer bemächtigt.
Den Tod vor Augen
Solange ich kann, werde ich singen.
Der Gedanke an meinen Tod ängstigt mich nicht; der Tod eines Mitmenschen jagt mir Angst ein.
Dass ich sterben muss, wusste ich schon als kleines Mädchen. Mit dem bedrohlichen Wissen um den Tod kam ich auf die Welt. Ich sterbe, seit ich hinter dem Haarschopf des schwarzhäutigen Jesus, wie Léo Ferré die Schamhaare der Frau nennt, hervorgekrochen bin.
Dem Alter kann man nicht entfliehen. Diese Vorstellung ist absurd. Die Farbe der Haut und der Haare ändert sich ohnehin. Die Haut bekommt Flecken …
Ich bin auf dem Weg zu meinem Großvater. Großvater, wir sehen uns wieder. Es dauert nicht mehr lange.
Meine Enkeltochter hat mich zur Großmutter gemacht. Sie nennt mich so und stellt mir Fragen. Das macht mich sehr glücklich. Meine Enkeltochter vertraut mir.
Ich hingegen hatte kein Vertrauen in mich als Oma. Großmutter sein, das ist eine wichtige, aber auch heikle Angelegenheit. Aber die Kleine versteht es, mir Fragen zu stellen, sie bringt mich zum Reden. Sie verlangt Erklärungen, sie will die Welt verstehen. Sie erzählt mir von den Dingen, die wichtig sind in ihrem Leben. Das ist ein großes Glück für mich. Ich liebe sie. Ich habe sie unglaublich gern.
Sie ist ein Mensch, der sehr großzügig ist. Sie ist ein sehr gütiges Kind. Das ist etwas sehr Seltenes. Sie ist hübsch und mag die anderen. Das ist sehr, sehr gut.
Meine Kraft verdanke ich meiner Lust am Spielen. Das Kind in mir lebt bis heute. Ich bin immer noch die kleine Juliette, die Ungerechtigkeit nicht ausstehen kann.
Den Kampf für die Freiheit eines jeden, für sein Recht, zu denken und zu tun, was er will, habe ich nie aufgegeben. Ich kusche nicht.
Selbst wenn ich liege, tue ich das in einer aufrechten Haltung.
Großen Respekt habe ich vor der langen Reihe von Frauen in meiner Familie, die standhaft und würdevoll ihr Leben meisterten, ebenso vor meiner Schwester und meiner Mutter, die gekämpft und gelitten haben. Ihre Energie und meine Kraft möchte ich an alle Frauen weitergeben. Denn ich spüre, dass der Kampf abflaut, dass man die Arme senkt. Wir drohen unterzugehen in einer Gesellschaft, die nicht mehr geht, sondern rennt, und die deshalb keine Luft mehr bekommt. Für die Jungen und alle, die ich liebe, singe ich meine Lieder und unterstütze die Dichter, die für uns die Welt zum Sprechen bringen. Sie sind meine Wahlfamilie.
Dass ich dieses Leben leben durfte, war ein großes Glück, trotz manch lästiger Schmerzen. Dass es mir geschenkt worden ist, dafür bedanke ich mich.
Die Liebe wird dem Tod ein Schnippchen schlagen.
Lieben
Eine große Liebe
Ich habe innig und leidenschaftlich geliebt. Ich war zwanzig Jahre alt, als ich der großen Liebe begegnete.
Er war schön, hatte grüne Augen, zarte, ebenmäßige Gesichtszüge und große, kräftige Hände. Er war doppelt so alt wie ich und
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