So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
Preise sind für unseren Geldbeutel bezahlbar.
Wenn ein Journalist wissen will, ob jener oder jene im Hotel abgestiegen ist, bekommt er immer die gleiche Antwort: »Es tut mir leid, aber der Herr – oder die Dame – ist heute Morgen abgereist.«
Ich mit meiner käseweißen Haut liebe die Sonne des Mittelmeers, die Wärme und das Licht des Südens. Im Hafen von La Ponche, in dem die bunten Fischerboote nebeneinanderliegen und von den Wellen sanft hin und her bewegt werden, lebe ich einen Traum von mir.
Saint-Tropez ist ein ruhiges, friedliches Dorf, ideal für die Sommerfrische. Seit den Dreißigerjahren machen in dem kleinen Ort französische Künstler und ein paar reiche Amerikaner im Sommer Station.
Seit dem Sommer 1945 treffe ich hier Boris Vian, der ein winziges Fischerhaus sein Eigen nennt. Don Byas spielt in einer kleinen Jazzkneipe Saxofon. Das Dorf ist noch ein Dorf, aber nicht mehr lange. Als Brigitte Bardot und der Regisseur Roger Vadim mit seinem Team hierherkommen, um den Film Und immer lockt das Weib zu drehen, ist es um die Ruhe geschehen. Die Gruppe um Françoise Sagan, Jacques Chazot, Bernard Franck, Jean-Paul Faure und Florence Malraux hatte neben vielen anderen für diese Invasoren bereits ordentlich Vorarbeit geleistet.
Zu der Stunde, wenn die Fischer ihre Netze trocknen und ordnen, nehmen die jungen Intellektuellen auf der Terrasse der Hotelbar Platz, die Eiswürfel klirren in den Gläsern, man diskutiert und trinkt.
Hinter der Theke versucht sich Boris Vian als Barmann, was die Schauspieler Daniel Gélin und Pierre Brasseur amüsiert, doch sprechen sie dem Amateur auch Mut zu.
Die Tage vergehen, ein Tag gleicht dem anderen in seiner Unbekümmertheit. Stundenlang wird geredet, wir gehen baden, schwimmen, dann wird ein bisschen geschlafen, bevor wir im Hafen zu Abend essen.
Jeden Abend kann man auf der kleinen improvisierten Bühne neben der Akazie Musik hören. Mouloudji singt heute Abend, begleitet von Jacques Douai, »Les feuilles mortes«.
Einige amerikanische Stars hat die Musik angelockt: Greta Garbo, Clark Gable und Tyrone Power, dem ich wenig später in Mexiko wiederbegegnen werde.
Jeden Sommer mache ich in diesem Jahrzehnt für ein paar Tage einen Zwischenstopp in Saint-Tropez.
1955 treffe ich Françoise Sagan und ihren Bruder Jacques Quoirez. Sie haben ein großes Haus ganz in der Nähe vom Hôtel La Ponche gemietet.
Der Clan um Sagan besteht aus einem harten Kern und Zufallsbekanntschaften. Die Atmosphäre ist sorglos und heiter. Wir lachen viel, auf der Terrasse der Hotelbar spielen wir Gin Rummy, Bohnen sind unser Einsatz.
Françoise wohnte nach ihrem Autounfall 1958 eine lange Zeit im La Ponche.
Das Hotel war damals ihr Zufluchtsort. Hier konnte sie ausruhen, lieben und schreiben.
Verzweiflung und Zärtlichkeit
Zärtliche Freunde sind manchmal der Rettungsanker in Augenblicken der Verzweiflung.
Ich denke an Anne-Marie Cazalis und an Boris Vian. Er war ein wahrer Freund, ein Bruder. Mit ihm verband mich eine ungewöhnliche Freundschaft.
Er hatte es geschafft, dass ich mein Schweigen brach, meine krankhafte Sprachlosigkeit beendete. Er lehrte mich das Sprechen wieder. In Boris Vian hatte ich den schönsten, liebevollsten, klügsten und preiswertesten Psychiater gefunden, den man sich wünschen kann.
Eines Tages sagte er zu mir: »Gréco, warum sagst du nie ein Wort? Ja, ich meine dich.«
»Warum sollte ich?«
»Falls du mal reden willst, komm zu mir. Ich gebe dir meine Adresse. Ich wohne auf dem Montmartre.«
»Wann soll ich kommen?«
»Wann du kannst. Vielleicht wenn der Tag zu Ende geht, gegen Abend.«
Eines Tages marschierte ich von Saint-Germain zu Fuß auf den Montmartre. Nicht gerade eine kurze Strecke, und steil obendrein.
So fing es an. Er führte mich in sein Wohnzimmer. Der Abend dämmerte, im Zimmer wurde es dunkel. Wir saßen beide auf seinem Sofa vor dem Fenster; er legte den Arm um meine Schultern und redete. So geschah es einmal, zweimal, dreimal, immer wieder.
Und irgendwann antwortete ich ihm. Ich führte tatsächlich ein Gespräch mit ihm, einen richtigen Dialog. Nur mit ihm redete ich. Das ist mir nicht sofort aufgefallen.
Kurz bevor ich ihn eines Abends verließ, bemerkte ich es und sagte zu mir: Ich rede ja mit jemandem!
Dass ich die Sprache wiedergefunden habe, verdanke ich Boris. Ich liebte ihn wie einen großen Bruder. Er war damals siebenundzwanzig, achtundzwanzig Jahre alt, und ich vielleicht achtzehn. Die Gefühlslage zwischen uns
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