So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
erwartete sie diese Zeit des Wiedersehens und hasste jeden, der unser Beisammensein stören wollte.
Meine Mutter wohnte mit uns in der Rue de Verneuil, in einer Wohnung, die sich auf derselben Etage an unsere anschloss. Sie kümmerte sich um meine kleine Tochter, bis ich begriff, dass ihre Erziehung zu streng und herzlos war.
Ein Kind zu haben, ist gar nicht einfach, auch wenn viele das anders sehen. Dieses Kind, das sein Köpfchen aus unserem Haarbüschel zwischen den Beinen reckt, dann ganz herausschlüpft, ins Leben hinausgeht und uns verlässt.
Das Erste, was man tun muss, wenn man ein Kind auf die Welt bringt, ist sich kümmern, nicht lieben. Gut, man liebt es, wie ein Tier sein Junges liebt.
Aber in den ersten Augenblicken seines Lebens horcht man nur, ob es atmet; man gibt ihm zu trinken, später gibt man ihm zu essen. Man kümmert sich um das Kleine, passt auf es auf, legt die Hand in die Wiege, um seinen Atem zu überprüfen. Dann erst lernt man, es zu lieben. Manchmal funktioniert das aber nicht. Es gibt auch keine Verpflichtung dazu. Du musst dich um dein Kind kümmern, es großziehen, das ist deine Pflicht. Aber Lieben, das ist etwas anderes. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge.
Man liebt ein Kind nicht, nur weil es das eigene ist. Man kann ein adoptiertes Kind genauso lieben.
Das Lied »L’enfant secret« ist eine Liebeserklärung. Es erzählt von einer Frau, die gern ein Kind von dem Mann gehabt hätte, den sie liebt. Es geht ihr wie jeder Frau, die kein Kind hat und davon träumt. Die Zeitungen behaupteten, ich schriebe über mich. Keineswegs!
Es ist schon seltsam. Wenn eine Frau etwas über die Liebe schreibt, denken alle sofort, es sei vollkommen autobiografisch. Während die Männer das Recht haben, sich Geschichten auszudenken.
Lassen Sie sich eines Besseren belehren, auch ich habe Fantasie. Der Beweis: Ich verwandle alles. Alle Liedtexte, die man mir gibt, verwandle ich. Ich verspeise sie und mache sie so zu meinen – für die Dauer eines Chansons.
Das ABC meines Lebens
A
Angst: Spontan würde ich sagen, dieses Wort gehört nicht in meine Sammlung. Aber dann fällt mir ein, dass mir dumme Menschen Angst einjagen. Und Schlangen und Schnaken auch.
Arbeit: Wer lebt, muss arbeiten. Deshalb ist Arbeiten immer eine Frage auf Leben und Tod.
Atlantischer Ozean: Hinter ihm liegt Amerika; der Erdteil, von dem viele von uns träumten, als wir jung waren.
Aussehen: Unsere äußere Erscheinung. So treten wir dem anderen gegenüber. Sie sollte ein Ausdruck unserer Höflichkeit sein.
B
Baum: Er bedeutet Leben, er erfrischt uns mit seinem Schatten. Er kann aber auch gefährlich in den Himmel wachsen.
Blumen: Sie sind schön und tun uns gut. Ich denke an Farben, an van Gogh, an Manet, an Wärme und Licht. Zu sehen, wie sie knospen, ist wunderbar. Im Frühjahr gilt mein Augenmerk den Wiesen mit Osterglocken. Man behauptet nämlich, dass sie sehr unentschlossen sind, was das Erblühen betrifft. Deshalb muss man sie über lange Zeit im Auge behalten, bis sie schließlich tatsächlich … blühen.
Bravorufe: Gibt es eine schönere Belohnung?
C
Chanson: Das einzige Fenster in einer dicken Mauer. Zudem steht es offen. Man war eingesperrt, und mit einem Schlag kommt Licht herein. Und das, was wir vergessen hatten. Lieder sind ein wunderbares Geschenk. Sänger und Publikum treffen sich für ein, zwei Stunden wie bei einem Rendezvous … Ich kenne Sänger, die viel mehr Talent haben als ich und denen das Publikum viel weniger zuhört. Ich will keine Namen nennen, aber für sie ist das bitter. Oft spielt auch das Aussehen eine Rolle. Wenn man etwas weniger hässlich ist, steigen die Chancen, dass die Menschen einem zuhören. Das nenne ich ungerecht.
D
Du gehörst mir – Ich gehöre dir: Diese beiden Sätze gehen gar nicht. Den zweiten darf man vielleicht aussprechen. Aber nur, wenn man sich aus freien Stücken dazu entschlossen hat.
E
Ego: Jeder von uns besitzt zweifellos ein Ego. Aber was ist das?
Engagement: Dieses Wort verstehe ich auf Anhieb. Seit meiner Kindheit engagiere ich mich. Es hat mich Schweiß und Tränen gekostet, mir aber auch schöne Stunden geschenkt. Doch heute stagniert die Bewegung. Es geht sogar mit Riesenschritten zurück in die Vergangenheit. Ein Grund mehr, sich zu engagieren.
Einverständnis: Warum soll man nicht manchmal mit bestimmten Dingen einverstanden sein? So kann ich mein Einverständnis erklären, dass man mich operiert. Aber was, bitte, ist ein moralisches
Weitere Kostenlose Bücher