So bitterkalt
doch seiner Stimme fehlt die Kraft, und nun klingt es, als würde er um Entschuldigung bitten: »Und ... und eines Tages, als wir im Wald waren, habe ich William vom Rest der Gruppe weggelockt und in einen alten Bunker eingesperrt. Er hatte es gut da, den Umständen entsprechend, aber am schlimmsten war es wohl für seine Eltern ... für die Psychotante. Die muss sich zu Tode geängstigt haben.«
Er hat sein Geständnis vorgebracht, aber Jan hat noch etwas auf dem Herzen: »Rami, jetzt werde ich von dem Weg nach drauÃen erzählen.«
Er sieht zum Fenster hinüber und fährt fort: »Nächsten Freitag, wenn abends die Brandschutzübung ist, werden alle Patienten aus ihren Zimmern gelassen. Alle Zimmer werden geöffnet. Das weiÃt du doch, oder?«
Das Licht blinkt.
»Du musst dich von den anderen entfernen«, erklärt er. »Auf deiner Station gibt es ein Medikamentenlager. Die Tür müsste unverschlossen sein, denn ich habe Papier in den Schlosskolben gestopft. Und in dem Raum gibt es hinter einem Schrank einen vergessenen Wäscheaufzug, der direkt in den Keller führt.«
Das Licht blinkt, Rami versteht.
»Ich werde da unten auf dich warten«, sagt Jan, »und dann gehen wir zusammen raus.«
Kann er das wirklich versprechen? Er will gar nicht daran denken, was alles schiefgehen kann, sondern wartet nur auf eine Antwort.
Und die kommt: Das Licht blinkt.
»Gut ... bis bald, Rami.«
Jan schaltet den Schutzengel aus.
Er ist froh, den Wald verlassen zu können, denn das ist ein einsamer Ort. Doch bald wird er nicht mehr einsam sein.
Zwanzig Minuten später klingelt er bei Lilian, und sie macht ihm die Tür auf. Ihr Bruder ist nicht zu sehen. Lilian bittet ihn herein, doch nicht weiter als bis in den Flur. Sie ist angespannt und hat keine Lust auf lange Gespräche.
»Hast du dich entschieden?«, fragt sie knapp.
Jan nickt, in seinem Kopf hat er das Bild von Ramis blinkendem Fenster.
»Ich mache es.«
»Du bist dabei?«
Jan nickt wieder. »Ich kann in der Vorschule aufpassen«, sagt er. »Wenn ihr zu Rössel in das Besuchszimmer geht, dann warte ich unten.«
»Einen Fahrer brauchen wir auch«, erklärt Lilian. »Du hast doch ein Auto, oder?«
»Ja.«
»Das würden wir gern ausleihen«, sagt Lilian, »wir fahren alle zusammen rauf und dann auch wieder nach Hause, wenn wir fertig sind.«
Sie ist jetzt ganz konzentriert und nüchtern. Aus dem oberen Stockwerk sind Schritte zu hören.
»Und ihr werdet mit Rössel über deinen Bruder sprechen?«, fragt Jan. »Nichts weiter?«
»Nichts weiter.«
Lilian sieht ihm in die Augen. Jan begegnet ihrem Blick und erinnert sich plötzlich daran, dass Doktor Högsmed ihm erklärt hat, wie schwer es ist, Psychopathen zu heilen.
»Was meinst du, warum Rössel eingewilligt hat, sich mit euch zu treffen?«, fragt er. »Will er gestehen, um sich besser zu fühlen? Weil er ein guter Mensch geworden ist?«
Lilian senkt den Kopf.
»Es ist mir egal, was Rössel geworden ist«, erklärt sie, »wenn er nur die Wahrheit sagt.«
In der »Mir-geht-es-gut-Stunde« in der Vorschule erinnert Marie-Louise an die Brandschutzübung am Freitag.
»Es wird einen groÃen Auftrieb geben mit Polizei und Rettungspersonal«, erklärt sie. »Aber die Ãbung findet am Abend statt, wir sind also nicht betroffen. Die Vorschule wird wie immer geschlossen sein.«
Nicht ganz, denkt Jan.
Von der anderen Seite des Tisches wirft Lilian ihm einen raschen Blick zu. Sie sieht an diesem Montag verkniffen und erschöpft aus und riecht nach Pfefferminzbonbons.
Die Arbeitswoche beginnt, ein Tag folgt auf den nächsten, und plötzlich ist es Freitag.
Das letzte Kind, das Jan aus dem Besuchszimmer abholt, ist Leo.
Als Jan mit dem Fahrstuhl nach oben kommt, sieht er ganz kurz Leos Vater, einen gedrungenen Mann in weiÃem Krankenhauspullover mit groben Armen, der einen raschen Blick zum Fahrstuhl wirft, ehe er durch die Tür in die Klinik zurückgeht. Als Letztes hebt er die Hand zu seinem Sohn, und Leo winkt zurück.
Auf dem Weg zurück in die Vorschule ist Leo ruhig und schweigsam.
»Triffst du dich gern mit deinem Papa?«, fragt Jan, als sie aus dem Fahrstuhl steigen.
Leo nickt. Jan legt die Hand auf die Schulter des Jungen und hofft, dass Sankt Patricia auf ihn achtgeben wird. Die
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