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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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einen magischen Ort.
    Schnell kletterte sie auf die Spüle und sprang aus dem Fenster. Davor lag eine gemauerte Veranda mit einem Tisch und ein paar Gartenstühlen.
    Jan sah, wie Rami einen der Stühle nahm und ihn über den Rasen zum Zaun trug. Auf halbem Wege schaute sie über die Schulter zurück, und er nickte ihr zu – stand aber immer noch am Fenster.
    Verdammt, dachte er.
    Dann drehte er sich, ohne weiter nachzudenken, schnell um und rannte zurück in den Flur. Er lief nach rechts zu den Schlafzimmern, blieb aber vor dem Personalraum stehen. Dort hob er die Faust und klopfte dreimal laut an die Tür.
    Er wusste nicht, ob da drinnen jemand war, blieb auch nicht stehen, sondern lief direkt in die Küche zurück.
    Rami wartete unter dem Fenster auf ihn.
    Â»Was hast du gemacht?«
    Â»Bin aufs Klo«, log er.
    Dann kletterte er auf den Fensterrahmen und sprang zu ihr nach draußen.
    Â»Den Tisch«, sagte er.
    Sie hatten den Fluchtplan genau besprochen. Also packten sie jeder an einem Ende des Tisches an und trugen ihn von der Veranda zum Zaun. Rami stellte den Stuhl auf den Tisch, und Jan kletterte hoch und versuchte die braune Tagesdecke auf den Stacheldraht oben am Zaun zu schleudern. Zweimal misslang es ihm, aber beim dritten Mal legte sie sich endlich darüber und blieb liegen.
    Obwohl es am Zaun eiskalt war, schwitzte Jan. Er warf einen raschen Blick zurück zur Klapse und sah, dass alle Fenster bis auf eines immer noch dunkel waren. Im Personalraum war soeben das Licht angegangen.
    Da drinnen waren zwei Gestalten zu sehen. Eine junge Assistentin, deren Namen er nicht kannte, und Jörgen, der sich gerade sein Hemd anzog. Die beiden mussten auch zusammen geschlafen haben, genau wie Rami und er.
    Jan sah sie wieder an.
    Â»Du zuerst.«
    Rami war leichter als er und machte einen Satz vom Stuhl auf den Zaun hinauf. Jetzt war sie ein Eichhörnchen und packte durch die Tagesdecke hindurch die Ösen des Zaunes. Sie zog sich hoch und schob ein Bein über den Stacheldraht, schwang sich hinüber und sprang auf der anderen Seite auf den Boden.
    Sie sahen einander durch den Zaun an. Jan hob die Gitarre hoch und schaffte es, sie zu Rami hinüberzuschieben.
    Sie nickte. »Jetzt du.«
    Jan sprang hoch. Er war kein Eichhörnchen, hielt sich aber mit großer Willenskraft fest. Der Stacheldraht hatte sich durch die Tagesdecke gearbeitet und riss ihm die Handflächen auf, aber er kletterte dennoch über die Krone des Zauns und hing nun auf der anderen Seite.
    In dem Moment wurde die Tür zur Veranda aufgerissen, und jemand rief nach ihnen.
    Jan schluckte nervös und ließ sich rasch zu Rami auf den Boden gleiten.
    Jetzt standen sie beide jenseits des Zauns. Rasch sammelten sie ihre Sachen ein, dann liefen sie den Pfad hinunter. Es war jetzt zehn vor sieben, und soeben ging die Sonne auf.
    Ohne jeden Plan – sie waren einfach abgehauen. Jan hatte keine Kleider zum Wechseln dabei und nur fünfzig Kronen in seinem Geldbeutel.
    Â»Jetzt sind wir frei«, jubelte Rami und rief laut: »Stockholm!« Hier draußen vor dem Zaun sah Jan Rami zum ersten Mal gut gelaunt, fast fröhlich. Sie strahlte ihn mit geröteten Wangen an, und er lächelte zurück und wusste plötzlich, was es bedeutete, in Gesellschaft eines besonderen Menschen glücklich zu sein.
    Er war vierzehn Jahre alt und hoffnungslos verliebt.
    Das Personal der Klapse holte sie nur zehn Minuten später ein. Die Straßen um das Krankenhaus waren menschenleer, und Jan und Rami waren weithin zu erkennen.
    Motorengeräusch durchbrach die Stille. Ein kleiner weißer Volkswagen kam von der Rückseite der Klapse heran und wurde schneller. Ramis Lächeln erstarb. »Das sind die von der Klinik!«
    Der große Gitarrenkasten behinderte sie, also übernahm ihn Jan. Dann begannen sie zu laufen. Der Weg bog nach links ab und führte dann zu einem kleinen Fluss. Asphalt und Wasser schlängelten sich Seite an Seite etwa hundert Meter durch die Landschaft, dann tauchte eine schmale Holzbrücke auf.
    Auf der anderen Seite des Flusses lag ein Wäldchen, dahinter das Stadtzentrum. Ohne ein Wort steuerten Jan und Rami die Brücke an und überquerten sie. Rami lief deutlich schneller und hatte schon fast die ersten Bäume erreicht, als der Volkswagen auf der anderen Seite des Flusses zum Stehen kam. Jan war etwas langsamer, er hatte zu viel zu tragen. Als er sich

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