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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Heilige, nicht die Klinik.
    Marie-Louise lächelt Jan zu, als er Leo den Pflegeeltern übergibt.
    Â»Das klappt so gut mit dir und den Kindern, Jan«, sagt sie. »Du bist niemals nervös, so wie die Mädchen.«
    Â»Welche Mädchen?«
    Â»Hanna und Lilian. Die beiden sind immer angespannt, wenn sie oben im Krankenhaus gewesen sind, und das ist ja auch kein Wunder.« Sie lächelt ihn an. »Man ist die Typen einfach nicht gewohnt.«
    Â»Die Typen. Du meinst die Patienten?«
    Â»Genau«, bestätigt Marie-Louise. »Die Eingesperrten.«
    Jan sieht ihr Lächeln, vermag es aber nicht zu erwidern.
    Â»Ich bin sie gewohnt«, erklärt er. »Ich kenne sie.«
    Â»Wie meinst du das?«
    Â»Ich war auch mal eingesperrt, als Jugendlicher.«
    Marie-Louise erstirbt das Lächeln auf dem Gesicht, und sie sieht ihn fragend an.
    Also erzählt er weiter: »Ich war in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Wir haben sie die Klapse genannt. Aber es war eine eingezäunte Klinik, genau wie Sankt Patricia. In der Klapse saßen die Gefährlichen und die Ängstlichen zusammen.«
    Marie-Louise macht den Mund wieder zu, sie scheint nicht zu wissen, was sie sagen soll.
    Â»Weshalb?«, fragt sie schließlich. »Ich meine, warum bist du eingewiesen worden?«
    Â»Ich war einer von den Ängstlichen«, erklärt Jan. »Ich hatte Angst vor der Welt draußen.«
    In der Küche wird es still.
    Â»Das wusste ich nicht«, sagt Marie-Louise schließlich. »Das hast du nie erwähnt, Jan.«
    Â»Es hat sich nicht ergeben, aber ich schäme mich nicht dafür.«
    Marie-Louise nickt verständnisvoll, scheint ihn aber von nun an mit ganz anderen Augen zu betrachten. Mehrmals an diesem Tag sieht sie ihn mit wachsamem Blick von der Seite an. Als hätte Jan ein Vertrauen zerstört und seine Chefin betrogen, indem er ihr Risse in seiner Seele gezeigt hat.
    Aber das ist nicht mehr wichtig. Risse lassen Licht herein.
    Seine letzte Tat an diesem Arbeitstag ist es, die Bilderbücher von Rami und sein Tagebuch aus dem Rucksack zu holen und in seinen Spind einzuschließen. Der ist schon vollgestopft mit Jacken, Regenschirm und Büchern, doch es gelingt ihm, die Sachen noch hineinzupressen.
    Wenn Rami am Freitagabend aus Sankt Psycho rauskommt, wird er den Schrank aufmachen und ihr alle Bücher zeigen. Mit den neuen Aquarellzeichnungen.
    Denn diesmal wird Jan ihr wirklich helfen, aus der Klinik herauszukommen. Diesmal wird es gelingen, den gesamten Weg zu gehen.

Die Klapse
    Jan wusste, dass es nur einen einzigen unverschlossenen Weg aus der Klapse gab, und das war das Fenster über dem Küchenherd. Die Pfleger ließen dadurch den Essensgeruch auslüften. Die Küche lag auf der Rückseite des Hauses und hatte kein Türschloss, aber tagsüber war fast immer jemand dort; wenn man also ausbrechen wollte, dann musste man früh aufstehen.
    Jan wachte um sechs Uhr auf. Er hatte seinen Wecker gestellt, und als der summte und er die Augen aufschlug, spürte er einen langen schmalen Körper neben sich.
    Rami lag mit geöffneten Augen da.
    Schnell schob Jan die Hand unter die Decke und befühlte das Laken, doch es war trocken.
    Rami hob den Kopf und küsste ihn auf die Stirn.
    Â»Stockholm«, sagte sie.
    Jan wollte am liebsten liegen bleiben und nicht ausbrechen, aber er nickte, und sie standen auf.
    Sie machten kein Licht, sondern zogen sich an und schlichen wie zwei graue Schatten in den Flur hinaus. Jan hatte eine kleine Tasche mit Kleidern und dem Tagebuch dabei, und unter dem Arm trug er seine Tagesdecke. Vor ihm ging Rami mit ihrer eigenen Tasche und etwas großem Schwarzem im Arm. Ein Gitarrenkasten.
    Â»Willst du die mitnehmen?«, flüsterte er.
    Sie nickte.
    Â»Ich habe dir doch gesagt, dass wir auf den Straßen in Stockholm singen und spielen werden, damit wir Geld verdienen«, flüsterte sie zurück.
    Jan konnte nicht singen, sagte aber nichts. Er folgte ihr einfach.
    Alle Türen waren zu. Am Ende des Flures lag das Personalzimmer, und auch dessen Tür war geschlossen.
    Die Küche hatte keine Tür, sie war dunkel und leer.
    Â»Ich mache auf«, sagte Rami leise.
    Sie stellte den Gitarrenkasten auf die Spüle und schob die Fensterriegel auf. Das Fenster glitt weit auf, und eine eisige Morgenkälte drang herein. Rami sog die Luft ein.
    Â»Stockholm«, sagte sie wieder, als handelte es sich um

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