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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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für sogenannte Irre, danach ein psychiatrisches Krankenhaus, in dem Lobotomie und Zwangssterilisation an der Tagesordnung waren, doch seither ist natürlich alles umgebaut und modernisiert worden.«
    Jan nickt, doch als sie sich von der Mauer entfernen, kann er die Fenstergitter wieder sehen. Er denkt an Rami und dann an den Namen, den der Taxifahrer genannt hatte: Ivan Rössel, der Serienmörder.
    Â»Sitzen die Patienten nur in den oberen Stockwerken«, fragt er, »oder sind sie verteilt?«
    Högsmed erhebt die Hand zu einem Stoppschild. »Wir sprechen niemals über die Patienten.«
    Â»Das weiß ich ja«, entgegnet Jan rasch. »Ich möchte auch nichts über eine einzelne Person wissen, ich frage mich nur, wie viele es sind.«
    Â»Knapp hundert.« Der Oberarzt geht ein paar Sekunden lang schweigend weiter, dann erklärt er mit etwas sanfterer Stimme: »Ich verstehe, dass Sie neugierig sind, was in Sankt Patricia vor sich geht, das ist nur menschlich. Die wenigsten Leute sind je auch nur in der Nähe einer psychiatrischen Klinik gewesen.«
    Jan schweigt.
    Â»Ich kann nur eines über unsere Tätigkeit hier sagen«, fährt der Doktor fort, »und zwar, dass sie sich lange nicht so dramatisch gestaltet, wie die Leute denken. Die meiste Zeit ist es eigentlich Arbeitsalltag. Der größte Teil unserer Patienten hat natürlich ernste psychische Störungen, mit verschiedenen Traumata und Zwangssyndromen. Deshalb sind sie hier. Aber«, Högsmed hält einen Finger hoch, »das bedeutet nicht, dass die Klinik voller brüllender Wahnsinniger ist. Oft sind die Patienten ruhig und absolut ansprechbar. Sie wissen, warum sie hier sind, und sie sind, ja, fast dankbar, dass sie hier sein können. Sie hegen keine Fluchtgedanken.« Er macht eine kurze Pause und fügt dann hinzu: »Nicht alle, aber die meisten.«
    Während er weiterspricht, öffnet Högsmed das kleine Gartentor zur Vorschule. »Außerdem kann ich noch eine letzte Sache zu den Patienten anmerken: Einige von ihnen sind auf die eine oder andere Weise abhängig gewesen. Deshalb herrscht in den Abteilungen ein striktes Drogenverbot.«
    Â»Nicht einmal Medikamente?«
    Â»Mit den Medikamenten ist es etwas anderes, die werden von uns Ärzten verschrieben. Die Leute dürfen sie aber nicht selbst dosieren. Und Telefonieren und Fernsehen sind auch nur eingeschränkt erlaubt.«
    Â»Ist jede Art von Unterhaltung verboten?«
    Â»Absolut nicht«, sagt der Doktor, als sie zum Eingang der Schule gehen. »Wer schreiben oder zeichnen will, hat immer Papier und Stifte zur Verfügung, es gibt Radios und massenhaft Bücher, und wir haben viel Musik.«
    Jan muss sofort an Rami mit ihrer Gitarre denken.
    Der Doktor spricht weiter: »Außerdem fördern wir ja noch etwas anderes, sofern die Patienten Eltern sind, nämlich den regelmäßigen Umgang mit den Kindern. Sowohl die Patienten als auch deren Kinder brauchen Sicherheit und Routinen. Daran hat es ihnen in ihrem früheren Leben oft gemangelt.«
    Der Chefarzt öffnet die Tür zur Vorschule und hebt ein letztes Mal den Zeigefinger. »Gute Routinen sind entscheidend im Leben. Deshalb machen Sie hier eine sehr wichtige Arbeit.«
    Jan nickt. Eine wichtige Arbeit mit guten Routinen.
    Durch die Türöffnung sind helle Rufe und Lachen zu hören, und er tritt mit einem großen Schritt in die Vorschule ein.
    Jetzt geht es ihm gut. Er ist ganz ruhig. Es ist immer ein angenehmes Gefühl, wenn er Kindern begegnet.

Luchs
    Jan hatte eine Wohnung in Nordbro westlich des Zentrums und ein paar Kilometer von der Tagesstätte »Luchs« entfernt. Zwischen seinem Hochhausviertel und der Tagesstätte lag ein großes Freizeitgelände – mehrere Kilometer Tannenwald und Steinklippen und flache Hügel, die zu einem großen Vogelsee abfielen und die Illusion einer abgelegenen Wildnis schufen. Meist fuhr er mit dem Rad zur Arbeit, doch wenn er genug Zeit hatte, wanderte er durch den Wald, und manchmal, wenn er freihatte, unternahm er Spaziergänge dorthin. So lernte er die Waldpfade und Schotterwege des Geländes kennen, und manchmal bog er ab, um auf einen Hügel zu steigen und auf den See und nach den Vögeln dort zu schauen.
    Den alten Bunker entdeckte er eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit.
    Er war in einen Hügel mit Blick aufs Wasser eingemauert. Es führten keine

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