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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Waldwege oder Pfade daran vorbei, und damals, im Herbst, war er noch schwerer zu finden, denn er glich mehr einem großen Erdhügel, der von Reisig und Tannennadeln und vergilbtem Ahornlaub bedeckt war. Doch die rostige Metalltür stand einladend halb offen, als Jan vorüberging, und deshalb blieb er stehen und machte die paar Schritte den Hügel hinauf, um sich die Sache näher anzusehen.
    Er beugte sich vor und sah hinein. Drinnen war es stockdunkel. Die Wände schienen an die zwanzig Zentimeter dick zu sein. Der Zementfußboden sah trocken aus, also ging Jan wie ein Höhlenforscher auf alle viere und kroch hinein.
    Der Raum drinnen war größer als die vordere Betonhülle des Bunkers, denn er war zum Teil in den Berg hineingetrieben.
    Jemand war dort gewesen und hatte sich vergnügt, doch das schien schon länger her zu sein. Vergilbte Zeitungsseiten und ein paar leere Bierdosen waren in eine Ecke geworfen worden, ansonsten war der Bunker leer. Jan bemerkte, dass es sogar ein paar Fenster gab, doch die waren nur rechteckige Löcher unter der Decke, von Laub und Erde fast völlig verstopft. Er nahm an, dass der Bunker von der Armee als Beobachtungsposten benutzt worden war – ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg.
    Er kroch wieder hinaus und stellte sich auf die Böschung. Er lauschte. Der Wind ließ die Blätter der Bäume leise säuseln. Weit und breit waren keine anderen Waldwanderer zu sehen.
    Unterhalb des Bunkers erstreckte sich ein ebenes, plattes Kiesbett, zum Teil von Gras und Reisig bedeckt. Auch wenn Jan keine Gleise entdecken konnte, handelte es sich vielleicht um die Reste einer alten Eisenbahnstrecke, die viele Jahrzehnte zuvor hier gefahren war. Eventuell war sie beim Bau des Schutzraumes benutzt worden.
    Jan stieg zu dem Kiesbett hinunter und fing an, darauf in Richtung Süden zu gehen. Der Weg führte in eine ­schmale Klamm zwischen zwei riesigen Steinblöcken. Sie endete an einem rostigen Tor, das sich öffnen ließ. Dahinter lief Jan eine schwach ansteigende Böschung hinauf bis zu einer Anhöhe.
    Nur wenige Hundert Meter entfernt konnte er jetzt wieder das Wasser des Vogelsees sehen, und plötzlich wusste er, wo er war. Die Kindergruppen vom »Luchs« hatten im Sommer einen Ausflug hierher gemacht, und zwar kurz nachdem er dort zu arbeiten begonnen hatte. Sicherlich würden sie wieder einmal hierherkommen.
    Er hielt inne und dachte nach.
    Der Tannenwald war an dieser Stelle sehr dicht, doch schließlich fand Jan einen Pfad und ging dann noch ein paar Hundert Meter, bis er den breiten Weg vor der Tagesstätte und den grünen Zaun um den Spielplatz herum sehen konnte. Hinter dem Zaun spielten schon die Kinder von »Luchs« und »Braunbär«, die früh am Morgen gebracht wurden. Er sah den kleinen William Halevi oben auf einem Klettergerüst sitzen und mit den Armen wedeln, um zu zeigen, dass er sich traute loszulassen.
    William war ein draufgängerischer Junge, das hatte Jan schon bemerkt, wenn die Gruppen zusammen spielten. Obwohl er klein und schmächtig war, kletterte er immer am höchsten und rannte am schnellsten.
    Jan sah zu William hinüber und dachte an den Bunker im Wald.
    Und so hatte es begonnen. Nicht als ein fertiger Plan, um ein Kind in den Wald zu locken, sondern mehr als Gedankenspiel. Ein Zeitvertreib, den Jan sich gönnte.

7
    Â»Hier hängt der Plan«, erklärt Marie-Louise und zeigt auf die Kühlschranktür. »Die Zeiten müssen wir jeden Tag einhalten. Manchmal bringen wir ein Kind in die Klinik hinauf und holen gleichzeitig ein anderes ab.«
    Er sieht sich den Plan an. Dort sind eine Reihe Namen, Daten und Uhrzeiten für die Übergaben in der kommenden Woche aufgelistet.
    Ganz oben steht Leo: Montag 11 – 12 Uhr. Dann kommt Matilda: Montag 14 – 15 Uhr und Mira und Tobias: 15 – 16 Uhr .
    Noch ist es erst Viertel vor neun.
    Â»Wir bringen die Kinder hin«, sagt Marie-Louise, »und wir holen sie ab. Es gibt auch besondere Fälle, zum Beispiel wenn der andere Elternteil hierherkommt, um einen Besuch abzustatten, dann gehen sie zusammen rauf.«
    Jan nickt. Der andere Elternteil . Sie meint die freie Mutter oder den freien Vater. Denjenigen, der nicht eingesperrt ist.
    Er hat schon einige von ihnen kennengelernt, als sie in den Garderobenraum geschaut und Kinder gebracht haben, die nicht in der »Lichtung« wohnen. Sind das die

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