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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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denken.
    Gegen vier Uhr hatte er seine Arbeit kurz unterbrochen und eine kurze Pause gemacht, auf die er nach Tarif einen Anspruch hatte. Da war er schnell zum nächsten Briefkasten gelaufen, der nur drei Straßen vom »Luchs« entfernt stand. Auf dem Weg dorthin hatte er in einem dunklen Hauseingang Willams kleine Mütze aus der Tasche gezogen.
    Am Abend zuvor hatte er einen frankierten Umschlag vorbereitet. Jetzt steckte er die Mütze hinein, klebte das Kuvert zu und warf den Brief in den Kasten. Dann ging er zurück zur Arbeit.
    Als Sigrid die Tagesstätte betrat, stand Jan in der Garderobe und sprach mit der Mutter von Max Karlsson, die ihren Sohn abholte.
    Sigrid trat zu ihm und unterbrach das Gespräch mit leiser, aber beunruhigter Stimme: »Entschuldigung, Jan ... kann ich kurz mit dir reden?«
    Â»Klar, was gibt’s?«
    Sie zog ihn ein wenig beiseite. »Habt ihr im ›Luchs‹ ein Kind zu viel?«
    Er sah sie an und spielte den Erstaunten. »Nein, hier sind nur noch vier, die anderen wurden alle schon abgeholt. Wieso?«
    Sigrid sah sich im Garderobenraum um.
    Â»Es geht um unseren William, den kleinen William Halevi ... Sein Vater wartet oben im ›Braunbär‹, er wollte William abholen, aber der Junge ist nicht in unserer Gruppe.«
    Â»Nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Kann ich mich hier mal ein wenig umsehen?«
    Â»Na klar.«
    Jan nickte, und Sigrid verschwand in den Räumen der Tagesstätte. Währenddessen machte Jan für Max und seine Mutter die Tür auf und winkte ihnen, doch drei Minuten später war Sigrid wieder in der Garderobe. Sie sah jetzt noch beunruhigter aus und schüttelte den Kopf.
    Â»Ich weiß nicht, wo er ist.« Sie strich sich über das struppige Haar. »Ich kann mich nicht erinnern, ob William mit in der Gruppe war, als wir aus dem Wald zurückgegangen sind. Auf dem Hinweg war er dabei, daran erinnere ich mich, aber ich weiß nicht, ob ... ich weiß einfach nicht, ob er auf dem Rückweg dabei war. Hast du eine Ahnung?«
    Jan schüttelte den Kopf. Vor seinem inneren Auge sah er, wie William in die Klamm lief, doch er antwortete mit leiser Stimme: »Tut mir leid, aber ich kenne die Kinder vom ›Braunbär‹ nicht so gut.«
    Es wurde still. Die beiden Erzieher sahen sich an. Sigrid schüttelte den Kopf, als wollte sie aufwachen.
    Â»Ich muss wieder zu dem Vater hinübergehen. Aber ich glaube ... wir müssen die Polizei rufen. Oder?«
    Â»Ja«, antwortete Jan.
    Er spürte, wie ein steinharter Eiszapfen irgendwo zwischen seinen Lungenflügeln herunterfiel und bis weit in den Bauch hinein Kälte verbreitete.
    Wir müssen die Polizei rufen.
    Jetzt ging es los. Und Jan hatte es nicht mehr unter Kontrolle.

25
    Wie ein Verbrecher, wie ein Spion oder ein Geheimkurier ... Jan geht mit den Briefen von Sankt Psycho kein Risiko ein. Am nächsten Morgen fährt er mit dem Rad einen langen Umweg zur Arbeit und schiebt in einer menschenleeren Straße schnell das ganze Bündel in einen Postkasten. Viel Glück . Siebenundvierzig Briefe von Patien­ten, auf dem Weg in die Welt hinaus.
    Dann fährt er weiter zur Arbeit. Es beginnt zu frieren, aber er kann nicht schneller fahren, wenn er nicht auf einer Eisplatte ausrutschen will. Das ist lebensgefährlich.
    Als er die »Lichtung« betritt, kommen ihm im Garderobenraum kleine Füße entgegengerannt. Es ist Matilda, und ihre Augen leuchten.
    Â»Die Polizei ist hier!«
    Bestimmt macht sie einen Witz.
    Â»Ach, ehrlich?«, fragt Jan ruhig und knöpft seine Jacke auf. »Und warum? Wollen die Polizisten mit uns Saft trinken?«
    Matilda sieht verwirrt aus, bis er ihr zuzwinkert. Vorschulkinder reden alles Mögliche, es fällt ihnen schwer, zwischen Wahr und Falsch, zwischen Wirklichkeit und Phantasie zu unterscheiden.
    Aber die Polizei ist tatsächlich da. Nicht in der Vorschule, sie ist auf dem Krankenhausgelände. Als Jan eine Viertelstunde später wieder aus dem Küchenfenster schaut, sieht er ein Polizeiauto, das vor dem Krankenhaus parkt, und zwei uniformierte Polizisten, die auf der Innenseite des Zaunes entlanggehen. Sie sprechen leise und suchen mit ihren Blicken den noch taufeuchten Boden ab.
    Erst da spürt Jan eine pochende Nervosität im Hinterkopf. Das passiert ihm immer, wenn er Polizisten sieht, seit dem »Luchs«.
    Marie-Louise kommt in die

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