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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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wir denn, wenn niemand in der ›Lichtung‹ ist?«
    Â»Da müssen sie hier alleine wohnen, in einem Käfig«, sagt Matilda und grinst. »Wir schließen sie mit ganz viel Essen und Wasser ein!«
    Marie-Louise lächelt nicht, sie schüttelt nur den Kopf. »Tiere darf man nicht eingesperrt lassen.«
    Am Abend ist Jan mit zwei Kindern allein, und beide schlafen schnell ein. Von dieser Woche an übernachten nur noch Mira und Leo in der Vorschule, denn Matilda hat eine Pflegefamilie und wird jeden Tag gegen fünf Uhr abgeholt. Es sind eine ältere Frau und ein Mann mit grauer Schiebermütze, sie scheinen ruhig und freundlich zu sein.
    Jan kann nur hoffen, dass sie es auch sind. Das weiß man schließlich nie. Er muss an das denken, was Rettig über den Patienten gesagt hat, der sich das Leben genommen hat: Er war still und freundlich, aber sein zusätzlicher Kopf war es nicht.
    Man muss es wagen, den Menschen zu vertrauen. Oder? Jan selbst ist sehr zuverlässig – abgesehen von den wenigen Minuten am Abend, in denen er die schlafenden Kinder allein lässt und den Fahrstuhl zum Krankenhaus hinauf nimmt.
    Das tut er auch heute Abend, mit pochendem Herzen. Die Erinnerung daran, wie er jemanden mit dem Fahrstuhl herunterfahren und in die Vorschule gehen gehört hat, ist immer noch lebendig, doch seither ist es immer ruhig gewesen.
    Im leeren Besuchszimmer rast sein Puls, denn unter dem Sofakissen liegt erneut ein großes Kuvert mit der Aufforderung AUFMACHEN! ZUR POST BRINGEN!
    Jan würde den Umschlag am liebsten gleich im Personalraum in der Vorschule öffnen, doch das Risiko kann er nicht eingehen. Es ist zwanzig vor zehn, und Hanna kann jeden Moment eintreffen, um ihn abzulösen.
    Und das tut sie auch, zehn Minuten später kommt sie aus der Kälte.
    Â»Alles in Ordnung?«
    Ihre Wangen zwischen den blonden Haarsträhnen, die aus der Wollmütze fallen, sind gerötet, und sie scheint ungewöhnlich aufgedreht. Jan nickt ihr nur zu und zieht sich die Jacke an.
    Â»Sie sind um halb acht eingeschlafen. Seit sie nur noch zu zweit sind, geht es abends ruhiger zu.«
    Â»Ja«, erwidert Hanna.
    Jan hat nicht mehr zu sagen. Gerade will er seinen Rucksack mit dem darin verborgenen Kuvert holen, als er plötzlich merkt, dass er noch eine der Magnetkarten zur Kel­lertür in der Hosentasche hat. Als er vom Besuchsraum zurückkam, hat er die Tür zugezogen, aber vergessen, die Karte in die Küchenschublade zurückzulegen.
    Idiot.
    Er geht noch einmal Richtung Personalraum.
    Â»Ich glaube, ich habe was vergessen«
    Â»Was denn?«, fragt Hanna.
    Aber er ist schon in der Küche.
    Â»Hast du die Karte vergessen?«
    Hanna steht hinter ihm, immer noch in Ledermantel und Mütze. Ihre Wangen sind jetzt nicht mehr so rot.
    Â»Ja ... genau.« Jan macht die Schublade zu und richtet sich auf. »Nach der letzten Übergabe heute Nachmittag.«
    Â»Ist mir auch schon passiert.«
    Jan weiß nicht, ob sie ihm wirklich glaubt, aber was kann er da machen? Nichts, nur nicken und zur Tür hinausgehen. Wenigstens hat er das Kuvert aus dem Krankenhaus nicht vergessen, das liegt in seinem Rucksack.
    Zu Hause geht er gleich in die Küche, und seine Finger reißen rasch den Umschlag auf. Sie zittern, als er die Briefe auf dem Tisch durchblättert, und zwar nicht vor Nervo­sität, sondern vor Sehnsucht. Er wagt kaum zu glauben, dass er schon eine Antwort von Rami haben könnte, aber ...
    Doch, da ist ein Brief ohne Absender, der an Jan und seine erfundene Adresse gerichtet ist. Rettig hat ihn durchgelassen, wenn er ihn überhaupt bemerkt hat.
    Jan nimmt den Brief und legt ihn zur Seite. Die anderen dreiundzwanzig Schreiben schiebt er zu einem Stapel zusammen und legt sie in die Diele. Spätabends wird er sie in den Postkasten werfen. Doch zuerst öffnet er den Brief, der an ihn selbst gerichtet ist.
    Es ist nur ein einziges weißes Blatt Papier darin, und auf dem Papier stehen drei Sätze, mit fest aufgedrücktem Bleistift, ohne Unterschrift:
    DAS EICHHÖRNCHEN WILL ÜBER DEN ZAUN KLETTERN.
    DAS EICHHÖRNCHEN WILL AUS DEM RAD HERAUS.
    WAS WILLST DU?
    Behutsam legt Jan den Brief vor sich auf den Tisch. Dann holt er ein neues weißes Blatt Papier und setzt sich hin, um eine Antwort zu schreiben. Aber wie soll er sie ansprechen? Alice? Maria? Oder Rami? Schließlich schreibt er nur ein paar kurze

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