So bitterkalt
und sieht, dass die Tür zum Zimmer der Kinder weit offen steht. Als er ging, war sie geschlossen.
Jans Hand, die die Flasche hält, ist schweiÃnass.
Dort drinnen schlafen drei Kinder, Leo, Matilda und Mira, die er im Stich gelassen hat. Er hält die Luft an und bewegt sich, so leise er kann, auf die Türöffnung zu.
Ein dunkles Zimmer.
Er sieht hinein und erwartet, dort einen groÃen, schwarzen Schatten über eines der Betten gebeugt zu sehen, aber er sieht nichts.
In dem Zimmer rührt sich nichts. Die drei Kinder liegen unter ihren Decken und atmen ruhig und gleichmäÃig. Jan schleicht hinein und horcht, doch das Zimmer ist so klein, dass sich niemand darin verstecken kann.
Wohin ist der Besucher aus dem Krankenhaus verschwunden?
Jan verlässt das Zimmer, schlieÃt die Tür und schaltet das Deckenlicht im Flur ein. Dann geht er von Raum zu Raum und untersucht jeden Winkel, doch er findet niemanden.
SchlieÃlich betritt er wieder den Flur. Die Eingangstür ist zu, doch als er die Klinke herunterdrückt, stellt er fest, dass sie nicht abgeschlossen ist. Jemand hat sie aufgeschlossen und die Vorschule verlassen.
Jan öffnet die Tür und schaut auf den Hof hinaus, doch auch da ist niemand zu sehen.
»Hallo?«, ruft er in die Nacht hinein â hauptsächlich, um seine eigene Stimme zu hören.
Keine Antwort. Der Hof ist leer, die StraÃe davor liegt verlassen da.
Durch die geöffnete Tür dringt die Kälte herein, er drückt sie schnell zu, schlieÃt sie ab und atmet auf. Er wirft einen Blick auf die Uhr, es ist jetzt Viertel nach zwölf.
Doch er kann sich noch nicht schlafen legen: Er muss in den Keller zurück, das Kinderbild wieder an die Wand hängen und das Licht im Schutzraum ausschalten. Und natürlich muss er die Flasche zurücklegen, denn eine leere Weinflasche in der Vorschule würde Marie-Louise doch sehr verwundern.
Als er alles erledigt hat, klemmt er einen Stuhl unter die Türklinke der Kellertür, damit niemand sie vom Gang aus öffnen kann, nicht einmal mit Magnetkarte.
Am nächsten Morgen geht Jan um acht Uhr nach Hause. Nachdem es ihm endlich gelungen war einzuschlafen, verlief der Rest der Nacht ruhig. Mit laut pochendem Herz hatte er im Bett gelegen, doch er fühlte sich eher einsam als ängstlich.
Unsere Einrichtung ist sicher , hatte Doktor Högsmed gesagt. Die Sicherheit aller ist unsere erste Priorität .
Jan hat noch keinen Weg zu Rami gefunden. Doch eines weià er jetzt: Jemand benutzt die Vorschule als Schleuse und als Weg aus dem Krankenhaus hinaus.
Hoffentlich ist es kein Patient.
24
Der zweite Umschlag von Rettig wird Jan am kommenden Morgen geliefert, als er wieder in seinem eigenen Bett liegt. Um sieben Uhr reiÃt ihn ein Geräusch aus einem ruhigen und warmen Traum über die Liebe. Erst nach einer Weile wird ihm klar, dass ihn das Klappern des Briefschlitzes geweckt hat.
An den Traum erinnert er sich nicht mehr, er muss aufstehen. Als er in die Diele schaut, liegt dort ein Umschlag auf dem FuÃboden, den er gleich wiedererkennt. Diesmal ist er hellgelb, aber das ist auch schon der einzige Unterschied. Er ist ebenso dick wie der vorherige, und auf der Vorderseite stehen die Buchstaben »S. P.«.
Diesmal tut Jan, was er sich das letzte Mal nicht getraut hat: Er öffnet den Umschlag.
Er nimmt das Kuvert mit in die Küche, legt es auf den Küchentisch und untersucht die Lasche. Sie ist mit gewöhnÂlichem, durchsichtigem Klebeband verschlossen, das man in jedem beliebigen Laden kaufen kann, und deshalb schneidet er es durch und fängt an, es behutsam von der Rückseite des Umschlags abzuziehen.
Einen kurzen Moment lang zögert er. Ist es verboten, einen Brief zu öffnen, dessen Beförderung selbst schon verboten ist? Jan verdrängt die Frage.
Als er den Klebestreifen abgelöst hat, ist es ganz leicht, ein scharfes Küchenmesser unter die Lasche des Umschlags zu schieben und sie anzuheben. SchlieÃlich ist das Kuvert offen.
Er holt den Inhalt heraus.
Rettig hat ihn nicht reingelegt: Es sind Briefe, nichts als Briefe, insgesamt vierunddreiÃig Stück in allen möglichen Farben und GröÃen. Auf der Vorderseite stehen in verschiedenen Handschriften mit Tinte oder Bleistift Namen, und alle tragen sie dieselbe Adresse: Krankenhaus Sankt Patricia.
Langsam sieht Jan die Namen der Adressaten durch und sieht, dass einer mehrmals
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