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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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wichtig für dich? Kannst du mir das erklären?«
    Erst antwortet Rettig nicht, dann senkt er den Blick.
    Â»Mein Bruder sitzt ein«, sagt er leise. »Mein Halbbruder Tomas.«
    Â»Oben in der Klinik?«
    Rettig schüttelt den Kopf. »Im Knast. Tomas sitzt im Bunker von Kumla, acht Jahre, wegen Raubüberfalls. Und er hätte schrecklich gern Briefe, viele Briefe, aber die meisten werden einkassiert. Und ich kann überhaupt keinen Kontakt zu ihm aufnehmen, denn dann machen sie mir bei der Arbeit die Hölle heiß.« Er seufzt. »Also unternehme ich stattdessen insgeheim etwas für die armen Schweine oben im Sankt Patricia.«
    Jan nickt. Das könnte die Wahrheit sein.
    Â»Aber der Typ, der gestorben ist, war das einer der Briefschreiber?«, fragt er hartnäckig weiter. »Oder einer, der heute Nacht einen Brief bekommen hat?«
    Â»Nein.« Rettigs Stimme klingt jetzt müde. »Das war ein Pädophiler mit Zwangseinweisung und völlig ohne Brieffreunde. Er hatte nur noch einen einzigen Freund im Leben, und das war ein zweiter Kopf, der auf seiner Schulter festgewachsen war. Er war still und freundlich, aber sein zusätzlicher Kopf war es nicht. Natürlich war er selbst der Einzige, der diesen Extrakopf sehen konnte, aber der Typ hat gesagt, dass es dieser Kopf sei, der ihn dazu zwingen würde, Sachen mit kleinen Mädchen zu machen. Er hatte keinen Kontakt zu irgendjemandem außerhalb der Klinik, nicht einmal sein Anwalt mochte ihn noch besuchen, und so ist er immer verrückter geworden.«
    Â»Was hat er gemacht?«
    Rettig zuckte nur mit den Schultern. »Heute Morgen hat er offenbar neue Energie gehabt, und da ist es ihm und seinen beiden Köpfen gelungen, in ein Zimmer ohne Fenstergitter zu kommen. Dort haben sie sich über den Sims geschwungen und sind direkt auf der Steinterrasse gelandet. Aus dem fünften Stock.«
    Â»Heute Morgen?«
    Rettig nickt und macht einen Schritt zurück in Richtung Probenraum. Er schaut Jan über die Schulter an.
    Â»Wir haben ihn um halb sieben gefunden, aber der Arzt meint, er sei so gegen vier Uhr rausgesprungen. Das ist die Zeit, in der die Einsamkeit auf der Erde am größten ist, nicht wahr?«
    Darauf weiß Jan keine Antwort. Er fühlt sich schlecht wegen des Selbstmords, als wäre er schuld daran.
    Â»Keine Ahnung«, sagt er nur. »Da schlafe ich immer.«

26
    Die Betonmauer neben der Vorschule verbreitet ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Hoffnungslosigkeit und Brutalität – von diesen Gefühlen ist Jan manchmal erfüllt, wenn er auf die Mauer starrt, deshalb wendet er sich, wenn er mit den Kindern im Hof ist, immer den anderen Nachbarn der Vorschule zu, den Reihenhäusern.
    Dort findet der Alltag statt – Autos kommen und fahren wieder, Kinder gehen in die Schule, morgens wird in den Häusern das Licht ein- und abends wieder ausgeschaltet. Auch dort drüben werden, ebenso wie in der Vorschule, tägliche Routinen eingehalten.
    Es ist Mitte Oktober, und dunkle Wolken ziehen von der Küste herauf. Die Kinder sind draußen und spielen, doch plötzlich klatschen eiskalte Regentropfen auf den Hof, deshalb holt Jan die Kleinen schnell rein ins Spielzimmer. Ohnehin ist es bald Zeit für die Gesundheitskontrolle. Hanna Aronsson, die offenbar auch eine Ausbildung zur Krankenschwester hat, geht mit einem Kind nach dem anderen in den Personalraum und untersucht es wie ein kleines Uhrwerk – sie betrachtet seine Pupillen und misst Blutdruck und Herzschlag.
    Anschließend versammeln sich alle im Kissenzimmer, wo Marie-Louise die Wünscherunde der Woche leitet. Die Kinder haben immer viele Ideen.
    Â»Ich will ein Haustier haben«, sagt Mira.
    Â»Ich auch!«, ruft Josefine.
    Â»Warum denn das?«, fragt Marie-Louise. »Ihr habt doch eure Kuscheltiere.«
    Â»Aber wir wollen richtige Tiere.«
    Â»Die sich bewegen!«
    Mira sieht Marie-Louise und Jan mit flehendem Blick an. »Bitte ... können wir nicht ein Haustier bekommen?«
    Â»Ich will Heuschrecken!«, ruft Leo. »Stabheuschrecken!«
    Â»Einen Hamster«, schlägt Hugo vor.
    Â»Nee, ich will eine Katze«, meint Matilda.
    Die Kinder sind aufgeregt, aber Marie-Louise lächelt nicht über ihre Wünsche.
    Â»Für Tiere muss man sorgen«, sagt sie.
    Â»Aber wir sorgen dann ja auch für sie!«
    Â»Man muss immer für sie sorgen. Was machen

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