So bitterkalt
Körper erkennen. Das war er selbst, einsam und ängstlich in einem Krankenbett.
»Danke«, sagte er leise.
Doch als er aufsah, war das Mädchen verschwunden.
Eine Minute lang war es ganz still, dann fing die Gitarre wieder an zu spielen.
Jan fühlte sich ein bisschen besser, und er setzte sich auf. Das Bett stand in einem kahlen, kleinen Raum, der fast wie eine Zelle aussah. An der Wand gab es einen Schreibtisch, davor einen Stuhl, auf dem seine Jeans und sein T-Shirt zusammengefaltet lagen. Seine Schuhe standen auf dem Boden, doch jemand hatte die Schnürsenkel herausgezogen.
Jans Arme juckten, und als er sich kratzen wollte, fühlte er einen dicken Mullverband, der ihm wie bei einer Mumie um die Unterarme gewickelt worden war.
Jemand hatte ihn gerettet, und jetzt war er aufgewacht, obwohl er weiterschlafen wollte. Schlafen, schlafen, schlafen, in der Klapse.
Klapse?
Ein paar Tage später sollte er erfahren, dass die Einrichtung, in der er lag, offiziell Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik hieÃ. Aber wie auch immer â die Klapse war ein Haus für Gestörte und Verirrte.
Luchs
Jan hatte die kleine Gruppe Polizisten und Tagesstätten-mitarbeiter direkt in den Wald geleitet, hatte aber nach ein paar Hundert Metern eine Abzweigung genommen und sie so immer weiter von dem Ort weggeführt, an dem das Versteckspiel tatsächlich begonnen hatte.
Der Einsatzleiter stand breitbeinig auf dem Waldweg, sein Blick kam Jan hart vor.
»Und hier ist er verschwunden?«
Jan nickte.
»Sie sind sich da ganz sicher?«
»Ja.«
Der Polizeibeamte war mindestens einen Meter neunzig groà und trug schwarze Stiefel und einen dunkelblauen Overall. Er hatte fünf Kollegen dabei, die in drei Streifenwagen auf dem Weg unterhalb des Waldes vorgefahren waren.
Williams Vater war nicht mitgegangen, er war losgefahren, um seine Frau zu holen. Jans Blick hatte vor der Tagesstätte kurz den seinen gestreift, es war ein starrer, angstÂerfüllter Blick.
Der Einsatzleiter sah immer noch auf Jan herab.
»Sie hatten also neun Kinder dabei, als Sie hier gespielt haben, und acht Kinder, als Sie das Spiel beendeten?«
Jan nickte. »Genau. Zu Anfang waren es neun Jungen.«
»Haben Sie denn nicht gesehen, dass einer fehlte?«
Jan wich dem Blick des Polizisten aus. Jetzt musste er nicht mehr so tun, als ob er nervös wäre, nun war er es.
»Nein, ich habe leider nicht gesehen, dass ... Leider war die Gruppe ziemlich unruhig, und zwar sowohl auf dem Hinweg als auch auf dem Rückweg. Und dieser Junge, William, der war kein Luchs.«
»Kein Luchs? Was heiÃt denn das?«
»Meine Abteilung in der Tagesstätte heiÃt so, âºLuchsâ¹.«
»Aber Sie hatten doch heute, während des Ausflugs, auch für ihn die Verantwortung, oder?«
»Ja, das stimmt.« Jan nickte deprimiert. »Sigrid und ich.«
Er sah zu ihr hinüber. Sigrid Jansson stand etwa zehn Meter entfernt geschockt und mit rot geweinten Augen zwischen den Bäumen. Als die Polizisten in der Tagesstätte erschienen waren und angefangen hatten, Fragen zu stellen, war sie beinahe zusammengebrochen, weshalb der Einsatzleiter sich rasch auf Jan eingeschossen hatte.
»Und als William sich verstecken wollte, in welche Richtung ist er da gelaufen?«
»Dorthin.«
Jan zeigte nach Süden. Auch wenn der Vogelsee von hier aus nicht zu sehen war, wusste er doch, dass er dort drüben lag â in entgegengesetzter Richtung zu der Klamm, in die William in Wirklichkeit gelaufen war.
Der Einsatzleiter streckte den Rücken durch. Er schickte einen Mann zur Tagesstätte zurück, damit er dort das Haus und die Umgebung absuchte, und sah dann die anderen Polizisten an:»Okay, allerseits, es geht los!«
Die Gruppe verteilte sich und begann, methodisch den Wald zu durchkämmen, aber sie alle wussten, dass ihnen nur wenig Zeit zum Suchen blieb. Es war mittlerweile zehn nach fünf und die Herbstsonne bereits untergegangen, zwischen den Tannen war es düster und grau. In einer Stunde würde es stockdunkel sein.
Jan ging so aufrecht wie möglich zwischen den Bäumen umher und tat so, als würde er ebenso gründlich wie die anderen suchen. Er rief nach William und sah sich um, doch er wusste natürlich, dass sie an der völlig falschen Stelle suchten. Er rief, dachte aber die ganze Zeit daran, wie dick die Betonwände im Bunker
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