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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Papierstapel, ein Computerausdruck. Hanna streckt die Hand aus und streicht mit den Fingern darüber. »Ich wollte dir auch noch das hier zeigen. Ivan hat mir jetzt sein Buchmanuskript gegeben.«
    Â»Als er unten in der Vorschule war?«
    Hanna schüttelt den Kopf.
    Â»Das war nicht er. Es war niemand vom Krankenhaus.«
    Â»Wer war es dann?«
    Â»Das kann ich nicht sagen.«
    Jan gibt auf. Er betrachtet das Manuskript auf dem Tisch und liest den Titel, der auf dem Deckblatt steht: MEINE WAHRHEIT. Nur das, kein Verfasser, aber Jan weiß natürlich, wer das geschrieben hat. »Rössels Memoiren«, sagt er.
    Â»Das sind keine Memoiren«, verbessert Hanna und wirft Jan einen kurzen Blick zu. »Ich bin gerade dabei, es zu lesen, und es ist eher eine Art Hypothese.«
    Â»Eine Hypothese?«, fragt Jan. »Darüber, wie die Morde geschehen sind?«
    Hanna nickt schweigend. Der Tee ist fertig, und sie gießt jedem eine Tasse ein. Sie setzen sich an den Tisch, aber Hannas Blick ruht weiterhin auf dem Manuskript, bis Jan fragt: »Bist du in Ivan Rössel verliebt?«
    Sie sieht auf und schüttelt schnell den Kopf.
    Â»Was ist es dann?«
    Hanna antwortet nicht. Aber sie beugt sich vor, und nun sieht sie ihn unverwandt mit ihren klaren blauen Augen an – sehr lange, als würde sie über sein Äußeres nachdenken.
    Sie will, dass wir uns küssen , denkt Jan.
    Vielleicht ist dies hier so eine Gelegenheit, bei der sich die Leute küssen. Aber da erinnert er sich an Ramis Mund, der sich in der Klapse auf den seinen drückte, und mit einem Mal kommt ihm alles falsch vor.
    Er muss rasch an etwas anderes denken. An die Vorschule. An die Vorschulkinder.
    Â»Ich mache mir Sorgen um Leo«, sagt er.
    Â»Um wen?«
    Â»Leo Lundberg. Von der ›Lichtung‹.«
    Â»Ah ja«, sagt Hanna. »Ich weiß, wen du meinst.«
    Â»Also, ich habe versucht, mit ihm zu reden«, erklärt Jan, »habe versucht, mich zu kümmern, aber das ist schwer. Es geht ihm schlecht, und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll.«
    Â»Womit helfen?«
    Â»Das zu vergessen, was er gesehen hat.«
    Â»Was hat er denn gesehen?«
    Jan schüttelt den Kopf. Der bloße Gedanke an den kleinen Leo verursacht ihm Beklemmungen, doch schließlich antwortet er: »Ich glaube, Leo hat gesehen, wie sein Vater seine Mutter ermordet hat.«
    Hanna schaut ihn mit leerem Blick an.
    Â»Hast du darüber mit Marie-Louise gesprochen?«
    Â»Ein wenig, aber sie scheint nicht interessiert zu sein.«
    Â»Du kannst ohnehin nichts ausrichten«, sagt Hanna. »Man kann die Wunden nicht ungeschehen machen, die werden bleiben.«
    Jan seufzt. »Ich will einfach nur, dass es ihm gut geht, so wie allen anderen Kindern. Dass er fühlt, dass es jede Menge Liebe in der Welt gibt.«
    Er verstummt und hört selbst, wie lächerlich seine letzten Worte wirken. Jede Menge Liebe in der Welt. Das klingt so großartig.
    Â»Vielleicht willst du damit die Sache mit dem anderen Jungen kompensieren«, sagt Hanna.
    Â»Mit welchem anderen Jungen?«
    Â»Den du im Wald verloren hast.«
    Jan senkt den Blick, aber dann sieht er Hanna doch an. Wie unter Zwang hat er das Bedürfnis, ein Bekenntnis abzulegen.
    Â»Ganz so war es nicht«, sagt er schließlich mit leiser Stimme. »Ich habe ihn nicht verloren.«
    Â»Nicht?«
    Â»Nein. Ich habe ihn im Wald zurückgelassen.«
    Hanna sieht ihn an, und Jan beeilt sich zu erklären: »Es war nicht lang, und er hat auch keine Not gelitten.«
    Â»Warum hast du das getan?«
    Jan seufzt. »Es war eine Art Rache an seinen Eltern. An seiner Mutter. Ich wollte, dass es ihr schlecht ging. Und ich dachte, ich wüsste, was ich tat, aber ...« Er verstummt.
    Â»Wurde es hinterher besser?«, fragt Hanna.
    Â»Ich weiß es nicht, wohl kaum. Ich denke nicht viel darüber nach.«
    Â»Würdest du es noch einmal tun?«
    Jan sieht sie an und schüttelt den Kopf. »Ich würde niemals einem Kind Schaden zufügen«, betont er.
    Â»Gut«, sagt Hanna. »Ich glaube dir.«
    Mit ihren blauen Augen erwidert sie seinen Blick. Er wird nicht schlau aus Hanna. Vielleicht sollte er dableiben und mehr mit ihr reden, um herauszubekommen, was sie eigentlich von ihm hält – und von Rössel.
    Nein. Er erhebt sich.
    Â»Danke für den Tee. Wir sehen uns in der Vorschule.«
    Er tritt in

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